Es muß jemand sein, der in etwa mit den schriftlichen Arbeiten im Revier vertraut ist und der perfekt maschinenschreiben kann. Ich bin der Dienstjüngste der Häftlingsschreiber. Dennoch, es ist nun einmal kein anderer da. Herbert schlägt mich dem Lagerarzt SS.- Untersturmführer Dr. Ding als Nachfolger vor. Dr. Ding fragt mich, ob ich mich einer solchen Aufgabe wohl gewachsen fühle, redet mir zu und macht mich zum Arztschreiber.

Herbert weist mich in einer kurzen Stunde, die ihm noch bis zum An­treten am Entlassungsschild verbleibt, in meine Tätigkeit ein. Mir raucht der Kopf von all dem Neuen, und in einer dicken Mappe häufen sich die Vordrucke und Vorlagen. Ein herzlicher Händedruck mit Herbert: ,, Hals- und Beinbruch, Kamerad!", und dann bin ich allein auf mich gestellt.

Die Scharführer, die dem Lagerarzt beigegeben sind, haben von den schriftlichen Arbeiten, die eigentlich sie machen sollen, aber vom Arzt­schreiber verrichtet wurden, nicht die geringste Ahnung. Auch Dr. Ding ist nicht über alles im Bilde. Paul Grünebaum ist derartig krank, daß ich ihn nicht stören darf. Der damalige erste Häftlingspfleger Klang warth, ein Buchdrucker, der sich im Revier frappierende medizinische Kennt­nisse angeeignet hatte und selbst schwierige Operationen und Ampu­tationen meisterhaft ausführte, ist gleichfalls nicht über alles im Bilde. Wenn er auch von Anfang an im Revier tätig gewesen ist und darum manches weiß, so hat er sich doch fast ausschließlich nur um die ärzt­liche Betreuung kümmern können. Er unterstützt mich, so gut er es vermag, und alles andere muß ich mir selbst ,, ausknobeln".

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Ich kann hier nicht im einzelnen schildern, wie mein Weg war, wie ich überhaupt von mir hier nur insoweit reden möchte, als es mir zweck­mäßig erscheint, um die Lageratmosphäre vor dem Leser erstehen zu lassen. Ich will nur so viel sagen, daß ich nun, nachdem mir der Zufall einen Platz im Lager anwies, von dem aus ich mehr als die meisten Häft­linge sehen konnte, Schritt für Schritt in das ganze Grauen des Nazis­mus eingeführt wurde. Die Unfähigkeit und Faulheit der SS. - Leute einer­seits und andererseits meine kaltblütige Bereitschaft, in jeder Situation meine wahren Gefühle und Empfindungen hinter einer versteinerten Gesichtsmaske zu verbergen, ebneten mir den Weg in eine schier un­begreifliche Wirklichkeit und öffneten mir den Blick in das maskenlose Antlitz des Nationalsozialismus.

Im nachfolgenden will ich versuchen, das ungeschminkte Antlitz des Nazismus erstehen zu lassen. Ich überlasse es dabei dem Leser, den Ele­menten nachzuspüren, die er aus eigener Anschauung kennt und sich

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