Ich erinnere mich nicht mehr genau, wie es dann weiter ging. Nur wenige Bilder haften in meinem Hirn. Es war, als habe sich alle Qual und Grausamkeit der Natur erschöft, als ob der gütige Schleier urewiger Nacht sich über mich mitleidsvoll gesenkt hatte und als ob ein Zustand völliger Empfindungslosigkeit sich stärker erwies als alle körperliche und seelische Qual. Ich habe mich um nichts mehr gekümmert und weiß auch nicht, ob sich jemand um mich gekümmert hat. Ich weiß nur, wie ich mich ins Bett gelegt habe und wohl augenblicks eingeschlafen bin, daß ich erst wieder wach wurde, als sich die meisten Häftlinge bereits im Tagesraum befanden.
Und dann weiß ich, daß ich wieder auf dem Appellplatz stand. Den Brotsack umgehängt, unsäglich müde, ohne jegliche Widerstandskraft und völlig interessenlos dem unvermeidlichen Schicksal ergeben. Ich weiß, daß mir irgendein Häftling sagte: ,, Du! 996! ans Tor, nach Schild 2." Ich erinnere mich, daß ich dort oben am Schild 2 mit einigen Häftlingen stand und daß die Arbeitskolonnen zum Tor hinausmarschierten, daß es dann merkwürdig still um mich wurde, daß der Appellplatz plötz-, lich leer war und daß unsere kleine Kolonne von einem Häftling ins Lager hinab geführt wurde. Ich weiß weiter, daß ich vor der Revierbaracke stand, daß irgendein Häftling zu mir sagte: ,, Du bleibt heute im Lager." Aber ich erinnere mich nicht mehr, wie ich den weitaus größten Teil des Tages verbracht habe.
Vom späten Nachmittag ab erst setzt wieder klareres Erinnerungsvermögen ein. Ich erinnere mich, daß ich im Tagesraum in meinem Block war. Franz und noch ein Häftling waren da und mit dem Zerschneiden von Blut- und Leberwürsten zu Portionen beschäftigt. Franz fragte mich, wo ich herkäme, und ich antwortete ihm, daß ich zum Arzt gerufen, aber ihm nicht vorgestellt worden sei. Weiter erinnere ich mich, daß ich mich im Waschraum gründlich gewaschen habe und dann sehr erfrischt war. Als im Lautsprecher die Musik der Lagerkapelle erscholl und damit das Signal gegeben war, daß die Arbeitskolonnen ins Lager zurückkamen, ging ich hinauf nach dem Appellplatz. Und nach dem Appell habe ich noch kurze Zeit im Tagesraum meines Blocks verbracht, dann Franz gebeten, ob ich mich schon vor der Zeit ins Bett legen dürfte, weil ich mich schlapp und müde fühlte. Franz gab die Erlaubnis, und wieder schlief ich ohne Unterbrechung bis zum allgemeinen Wecken.
Und als dann am nächsten Morgen beim Appell meine Häftlingsnummer wieder durch den Lautsprecher nach dem Schild 2 aufgerufen wurde, bin ich nach oben gerannt und war der Meinung, daß ich wohl erst an diesem Tage dem Arzt vorgeführt werden sollte. Wieder sagte
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