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Mittag?-- Mittag? Ich richte meinen Kopf auf. Da liegen und sitzen die Häftlinge alle. Jetzt erst sehe ich sie wieder.-- Mittag- Pause Ach ja, Pause! Und wie ein Sack falle ich um, und atme tief und bin beglückt, beglückt, daß ich da auf dem steinigen kalten Boden liegen darf. Ruhe, oh, kostbar- köstliche Ruhe! Und immer noch Ruhe! Immer noch und immer noch. Was schert mich der Nachmittag?! Was schert mich die nächste Minute?! Diese Sekunde, da mein Herz pocht, mein Atem geht, ist mein, ganz mein! Und niemand quält mich, und über mir ist der Himmel, und um mich ist die klare, reine Luft--Auch ich muß, wie jedes Lebewesen, wie jedes Ding hier auf dieser Erde und in diesem Weltraum, meines Daseins Kreise vollenden nach dem Gesetz, nach dem ich angetreten. Sind die Würfel gefallen? Muß ich in den Sielen sterben? Zermalmt mich die Mühle des Schicksals? Giordano Bruno, Savonarola, Ferrer, Uriel Acosta und tausend andere-- auch sie wurden zermalmt, weil sie sich selber treu blieben. Ich kleines, winziges Rädchen, ich Sandkörnchen am Strand der Welt, was kann ich mehr tun, als in der Stunde der Entscheidung ihrem Beispiel zu folgen. Mein heißester Herzenswunsch ist seit Jahr und Tag die gewaltlose Gemeinschaft alles dessen gewesen, was Menschenantlitz trägt. Und weil ich dieses Ziel anstrebte, bin ich hier auf diesem Kalvarienberg--. Gleichviel, wie es auch zu Ende gehen mag, ich will mir selber treu bleiben-
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Die Arbeit wird wieder aufgenommen. Die kurze Ruhe hat meine Kräfte gesammelt. Aber ich komme nur über die ersten beiden Runden mit klarem Verstand hinweg. Dann flimmert es mir wieder vor den Augen, dann zittern wieder die Knie, und alle Glieder schmerzen, und ich verliere mich wieder in einem Zustand, der mich merkwürdig gleichgültig und apathisch sein läßt. Meine Gedanken beschäftigen sich nur noch mit der an Wahnsinn grenzenden Vorstellung, daß ich weiter und immer weiter muß, pfadauf, pfadab. Was um mich vorgeht, weiß ich nicht mehr. Ich sehe nur noch den Häftling vor mir, sonst nichts. Und ich erwache aus diesem Zustand erst, als ich am Ende in der Arbeitskolonne ins Lager marschiere. Irgendein Häftling hat mich eingehakt und stützt mich beim Gehen. Mir ist alles so gleichgültig, so unwirklich, so traumhaft fern, so ganz dem Leben entrückt, so jenseits von Zeit und Raum. Ich weiß nicht, daß ich mich auf der Schwelle des Todes befinde, wünsche nicht einmal- das Ende mehr.
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茶茶
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