usw. Wenn ein Häftling sich ungeschickt benimmt oder unklare Angaben macht, fährt er mit einem energischen Donnerwetter drein und weiß in seinem ganzen Gehaben seine unbedingte Autorität zu wahren. Mit einem Satz: Er repräsentiert die ganze Würde eines strengen Medizinalrates!

Als ich ihm bei meiner Untersuchung angebe, daß ich an Malaria erkrankt gewesen sei, fragt er: Malaria tropica?" als könne er mir von der Nasenspitze absehen, daß ich mich auf medizinische Unterschiede verstehe. Am Nachmittag frage ich Hans Schulenburg, ob das der Lagerarzt ge­wesen wäre. Nein, das wäre ein Häftling, der im Revier beschäftigt sei, aber er solle tatsächlich ein ehemaliger Medizinalrat sein. Der Lagerarzt kümmere sich nicht um die Aufnahmeuntersuchung und habe sie diesem Häftling übertragen. Man wüßte nicht, weshalb er im Lager sei, aber er sei ein Grüner, vielleicht Abtreibungen oder dergleichen. Es sei jedoch für uns Häftlinge nur gut, daß er die Aufnahmeuntersuchungen vor­nähme. Der frühere Lagerarzt Dr. Kirchhoff habe die Unter­suchungen stets persönlich vorgenommen, und dabei sei es immer heiß hergegangen.

Ich habe es später im Lager wiederholt erlebt, daß dieser Häftling von anderen Häftlingen mit ,, Herr Doktor" oder ,, Herr Medizinalrat" an­geredet wurde, und er ließ sich die Anrede auch widerspruchslos ge­fallen. Aber er war es nicht. Der ,, Herr Medizinalrat" war Hans Rösler, ein wiederholt wegen Unterschlagung und Hochstapelei vorbestrafter krimineller Häftling, der sich seine medizinischen Kenntnisse im Lager angeeignet hatte und sein frappierendes Hochstaplertalent benutzte, um unter den Häftlingen den ehemaligen Medizinalrat zu spielen. Seinen Posten im Revier verlor er, weil wir ihn am Ende dann doch bei schmie­rigen Medikamentenschiebungen und nicht minder schmierigen Geld­geschäften und Betrügereien unter Ausnutzung der allgemeinen Not im Lager erwischten. Dennoch will ich anerkennen, daß er manchem Häft­ling geholfen hat und, soweit ich es beobachten konnte, auch niemals brutal gegen Mithäftlinge geworden ist. Und das ist im Lager auch etwas

wert gewesen.

Am Morgen des zweiten Weihnachtstages stehe ich auf der Steintreppe meines Blocks und beobachte das Häftlingstreiben auf dem Wege zwi­schen den Blockreihen. Es ist ein kalter, aber windstiller und sonniger Wintertag mit wolkenlosem Himmel.

Die Sonne will gar nicht so recht zu all dem Treiben da auf dem Wege

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