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Dann schütteln wir uns die Hand und sind beide so bewegt, daß wir geradezu verlegen sind. Wir sind doch sonst nicht so zimperlich und sollten es hier im Lager doch eigentlich ganz und gar nicht sein, aber wir können uns der Sekunde nicht entziehen, die übermächtig alles auf uns herabstürzen läßt, was wir denken und fühlen.

Wir waren schon in den Jahren, als das deutsche Volk seinen Weg in die Nacht noch nicht angetreten hatte, Kampfgenossen und Weg­gefährten. Nicht, daß wir befreundet gewesen wären, wir waren uns nur gut bekannt, wie es eben zwei Menschen werden, die eine gemein­same Weltanschauung, die gleiche politische Zielsetzung haben. Und jeder hatte in seinem Kreis und jeder nach bestem Vermögen den Kampf auch illegal gegen das Unheil fortgesetzt, das der Nationalsozialismus über Deutschland und die ganze Welt bringen mußte. Auch er war von der erbarmungslos verbrecherischen Vernichtungsmaschine erfaßt worden. Er war noch ein junger Mensch, Mitte der Zwanzig, als er auf der Anklagebank des sogenannten ,, Volksgerichtshofes" saß. Und trotz­dem seine Gesundheit durch die harte Arbeit im Bergwerk so erschüttert war, daß er wegen Lungenkrankheit und Augenzittern invalidisiert werden mußte, hatte der Senat wegen Vorbereitung zum Hochverrat drei Jahre Zuchthaus über ihn verhängt, die er bis auf den letzten Tag verbüßte. Und dann hatte die skrupellose Vernichtungsmaschine ihn nach ,, Buchenwald " transportiert.

Als wir uns etwas beruhigt haben, sagt er: Ich muß wieder hinüber nach meinem Block. Heute nachmittag nach dem Essen komme ich zu dir. Es wird nur bis zwölf Uhr gearbeitet. Ich wußte, daß du in diesen Tagen hierher kommen würdest. Ich habe mit meinen Freunden schon darüber gesprochen."

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, Was ist denn da mit dem Stubendienst los?" frage ich ihn. In einem Tonfall, als wäre es eine nebensächliche Randbemerkung, antwortet er: ,, Da hat wahrscheinlich wieder einer Schluß gemacht. Sie holen ihn nun aus dem Wald. Der Appell muß doch stimmen." Und dann sagt er freundlich lächelnd, aufmunternd: ,, Also bis heute nachmittag!", duckt sich zwischen unsere Reihen und verschwindet unter den Häftlingen. Dann sehe ich, wie er mit schnellen Sprüngen nach dem Häftlingsblock, der in einiger Entfernung vor uns angetreten ist, hinüberläuft und dort zwischen den Reihen verschwindet.

,, Ich habe mit meinen Freunden schon darüber gesprochen." Heute, da ich diese Zeilen schreibe, klingt mir der Satz wie eine Posaune ins Ohr. Damals habe ich ihn nicht beachtet und seine Bedeutung für mich weder erfaßt noch erahnt. Er war mir nicht mehr als eine gleichgültige,

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