Sie sind aus der gemeinsamen Not entstanden. Keiner sagt dir, daß du sie beachten sollst oder mußt. Jeder ist ganz allein auf sich gestellt."
,, Hannes, du kennst mich von früher. Ich habe mich im Grundsätzlichen nicht verändert. Mir kannst du es doch sagen. Und was wir hier reden, hört doch kein Zweiter."
,, Kein Dritter mußt du sagen. Vielleicht ist hier schon manchmal der Zweite zuviel."
,, Und wenn das so ist, dann frage ich dich, warum hast du dich meiner angenommen? Warum bist du mir behilflich, mich im Lager zurechtzufinden?"
,, Ich tue nicht mehr als andere. Was ich tue, ist selbstverständlich. Du wirst es morgen auch tun. Und wenn du Pech hast, gehst du dabei vor die Hunde."
,, Ich begreife, wir müssen hier eben allerhand riskieren."
,, Na klar!"
,, Aber nun sage mir, welches Recht haben die Politischen, sich gegenseitig zu bevorzugen? Sind die anderen nicht auch Menschen, die genau so schwer dran sind, die vielleicht noch mehr der Hilfe bedürfen als wir, die wir uns aus eigener Kraft oft besser zu helfen wissen?"
,, Ich habe dir schon einmal gesagt, du mußt es dir hier abgewöhnen, gefährliche Fragen zu stellen. Für mich besteht kein Zweifel daran, daß deine Erfahrungen dir die Fragen beantworten werden, vielleicht sogar eher, als es dir lieb ist."
,, Du wirst es schon sehen! Du wirst es erfahren! Immer wieder stoẞe ich auf denselben Satz. Gibt es denn hier überhaupt keine Menschen, die die Fragen beantworten, die jedem Zugang auf der Seele brennen?!"
,, Doch, die gibt es. Du wirst sie auch finden, nicht heute, nicht morgen. Das hat alles seine Zeit. Ich kann dir nur sagen: halte den Mund und mache die Augen auf. Und wenn du etwas erfahren hast, dann halte auch darüber den Mund!"-
Ich muß gestehen, daß ich an diesem Abend mit meinem Kameraden nicht restlos zufrieden war, aber ich muß mit demselben Atemzug sagen, daß ich ihm bitter Unrecht tat. Es war im Lager so unendlich schwer, Vertrauen zu einem Menschen zu gewinnen. Denn damit legte man sein Schicksal in die Hand eines anderen, und mancher ist dabei in edelstem Wollen und gläubigstem Herzen eine-- matschige Leiche geworden! Und hier ist vielleicht einer der Schlüssel zu finden für das psychologische Rätsel, daß das deutsche Volk, dies. Volk der Dichter und Denker, in dem einstmals die freiheitlichsten Regungen der Menschheit lebendigste Kraft waren, nicht die Kraft fand, gegen das wahnsinnige Verbrechen
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