ins Lager zu gehen und mich auf eigene Faust umzusehen, denn jetzt dürfen wir Häftlinge im Rahmen der Lagerdisziplin tun und lassen, was wir wollen.

Heute schon sehe ich mit klareren Augen. Das Lagerleben ist nicht mehr so kaleidoskopisch. Deutlich erkenne ich den Unterschied zwischen Lagerelite und Masse. Ich unterscheide fast immer sofort den politischen Häftling vom Asozialen und sehe besonders bei den Schwarzbewinkelten immer und immer wieder bejammernswerte Gestalten. Die Bibelforscher mit ihren violetten Dreiecken sind fast durchweg sauber und ordentlich gekleidet und zeigen Haltung. Auch die Grünen scheinen robustere Men­schen zu sein, die eher mit den Lagerverhältnissen fertig werden. Unter­schiedlich sind die Juden der verschiedenen Kategorien. Die meisten tragen den roten Winkel, aber unter ihnen sind weit mehr zermürbte, ausgemergelte, verhungerte und kranke Gestalten als unter den poli­tischen Ariern.

Die Latrinen sind noch grauenhafter und unhygienischer als ich gestern abend im Dämmern beobachten konnte. Ich habe einen unwider­stehlichen Ekel, sie zu benutzen.

Das Betreten des Waldes, der sich unterhalb des Barackenlagers be­findet, ist zur Zeit verboten; ich wende mich deshalb lageraufwärts. Ich sehe mir eine ,, schwarze Baracke" näher an. Im stickigen Tagesraum sind die Häftlinge noch enger zusammengepfercht als bei uns im Stein­block. Ich beobachte, daß das Zusammenleben dort bedeutend undiszipli­nierter vor sich geht. Auf dem Weg vor der Baracke geraten sich zwei Schwarze in die Haare, und im Handumdrehen ist ihr gegenseitiges Schimpfen in eine Schlägerei ausgeartet, aber keiner der übrigen Häft­linge in der Nähe scheint sich sonderlich darum zu kümmern. Erst als ein Blockältester dazu kommt, lassen die Kampfhähne voneinander und tauchen schnell im Gewimmel der Häftlinge unter. Der Schlafraum in der schwarzen Baracke besteht nur aus Pritschen und nackten Stroh­säcken, auf denen je eine Wolldecke am Fußende zusammengerollt liegt. Auf je zwei Strohsäcken müssen drei oder vier Häftlinge schlafen, wäh­rend bei uns im politischen Block jeder noch sein eigenes Nachtlager hat. Ich komme zu den Verwaltungsbaracken am oberen Ende des Baracken­lagers. Vor der Post steht eine lange Schlange von Häftlingen, die Ein­schreibebriefe und dergleichen in Empfang nehmen müssen. Da ist die Lagerbibliothek, die verhältnismäßig wenig benutzt wird. Vor dem Zimmer der Lagerältesten herrscht reger Betrieb, dort kommt und geht es ohne Unterbrechung. Der Appellplatz liegt leer und verlassen da.

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