und alle Glieder schmerzen mir. Wenn doch der Appell erst einmal zu Ende wäre.

Rödl tritt an das Mikrophon und hält eine Ansprache, aber ich ver­stehe kein Wort. Die meisten Häftlinge tun es anscheinend auch nicht, denn ich beobachte, daß sie gar nicht hinhören. Nur einige horchen ge­spannt. Plötzlich machen sie eine Geste, aus der zu schließen ist, daß sie wissen, daß nun die Ansprache zu Ende ist. Und in der Tat geht Rödl dann auch vom Mikrophon fort. Mir ist alles unbegreiflich.

Jetzt geht Rödl, der sich einige Schritte entfernt hat, wieder auf das Mikrophon zu und sagt nur ein Wort, das ich aber auch nicht verstehe. Die Lagerkapelle setzt ein, intoniert die Melodie ,, Schlößchen im Walde", und bei der zweiten Wiederholung setzen die Zehntausende zu einem gewaltigen Massenchor ein. Drei-, viermal muß eingesetzt werden, ehe es klappt, und dann braust es orkanartig über den Platz durch das ganze, große Lager und füllt die Wälder ringsum bis tief hinab in das Tal mit einem Chorgesang, der wie die Posaunen des jüngsten Gerichtes in der Phantasie eines religiösen Menschen donnernd und tosend dröhnt.

Als der letzte Ton verklungen ist, gibt Rödl an Strippel ein Zeichen, Strippel tritt an das Mikrophon: ,, Abrücken!", und blockweise rücken die Häftlinge ab ins Barackenlager.

Wir Zugänge sollen mit nach der Küche, um die Essenkübel zu holen, aber unser Stubenältester Franz sieht, wie arg wir mitgenommen sind, und beauftragt andere Häftlinge, die uns die Arbeit auch sofort bereit­willig abnehmen.

Mein Tisch ist nicht voll besetzt. Es gehören zu ihm verschiedene Häft­linge, die kommandiert und zur Zeit noch beschäftigt sind. Ihr Essen wird aufgehoben. Und ich habe Platz an einem Tisch, ansonsten hätte ich mein Essen im Stehen einnehmen müssen.

Die Ruhe tut mir gut. Ich erhole mich langsam. Es gibt eine Kohl­suppe, wässrig, ohne Fleisch, bei weitem nicht ausreichend. Meine Brot­ration esse ich zur Hälfte mit auf. Ich möchte sie wohl gerne ganz ver­zehren, aber ich denke an den morgigen Tag.

Ich gehe in den Waschraum. Das kalte Wasser erfrischt mich. Dann gehe ich zu Franz und informiere mich näher über das Leben im Lager nach Feierabend. Hans Schulenburg ist noch nicht da. Ich beschließe,

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