Die Arbeitskolonne ist wieder angetreten. Die Häftlinge sind voll­zählig zur Stelle. Noch bevor wir uns in Marsch setzen, hören wir, wie weit in der Ferne die Lagerkapelle einsetzt. Die Lautsprecher tragen das Getöse kilometerweit herüber. Wir marschieren im Gleichschritt ins Lager zurück. Die Hilfskapos sorgen für Vordermann und Seitenrichtung. ,, Mützen ab! Mützen auf!" gehen die Kommandos.

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Vor dem Gittertor gibt es eine Stockung. Auf der Straße von Weimar marschiert eine andere Arbeitskolonne vor uns in den Karochoweg ein. Die Häftlinge dort sind gleichfalls müde und abgewrackt, ich sehe viele halbverhungerte Gestalten, und alle Gesichter sind eigenartig unifor­miert. Ein frisches Gesicht, eine straffe Haltung, blitzende Augen sind selten und fallen ganz aus dem Rahmen. Die Kolonne singt das Lied vom Franzosen, der einen Gemsbock jagen wollte, mechanisch, stupide, lustlos, befohlen. Es ist mehr Gröhlen als Singen. Das Ende der Kolonne bilden die ,, Maroden", das sind die Häftlinge, die im Laufe des Tages zusammengebrochen sind. Einige von ihnen vermögen nur noch müh­sam zu gehen, andere müssen getragen werden. Je vier Mann tragen einen Maroden, und je nachdem, in welchem Zustande sich dieser be­findet, wird er transportiert, das heißt, je klarer er noch bei Bewußtsein ist, desto vorsichtiger und behutsamer wenn dieses Wort überhaupt gebraucht werden darf- wird er getragen, nicht etwa umgekehrt.

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Wir marschieren durchs Tor, über dem in großen Lettern die Worte stehen: ,, Recht oder Unrecht mein Vaterland!" Scharführer zählen unsere Reihen nach. Hinter dem Tor verharrt unsere Kolonne einen Augenblick, dann ertönt das Kommando: ,, Arbeitskommando weggetreten!" und ich suche den Platz, wo heute morgen unser Block zum Appell angetreten war.

Über eine Stunde dauert auch diesmal wieder der Appell. Namen und Nummern von Häftlingen werden aus irgendeinem Grunde durch den Lautsprecher bekanntgegeben. Auf dem Bock werden Häftlinge reihenweise durchgeprügelt. Diesmal stehe ich so, daß ich bis zum Tor hinaufsehen kann. Ich sehe das Mikrophon, sehe den Schutzhaftlager­führer SS- Obersturmbannführer Rödl, einen dicken Menschen mit aufgedunsenem Gesicht und bärig- tapsigen Bewegungen. Jetzt tritt ein SS.- Mann ans Mikrophon, es ist der ,, Feldwebel des Lagers", SS. - Haupt­scharführer Strippel, ein Mann in den dreißiger Jahren mit nicht un­üblen Gesichtszügen, etwas beleibt, aber doch sportlich straff in seinen Bewegungen. Er gibt irgendeine Anordnung durch die Lautsprecher­anlage bekannt. Den Bock kann ich nicht sehen, aber ich höre die Stock­schläge und die Schreie der Durchpeitschten. Ich habe einen Mordshunger

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