offenbar so schwach, daß sie sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten können. Einer von ihnen hat sich bestimmt seit Wochen nicht mehr gewaschen. Schleim rinnt ihm aus der Nase, ohne daß er sich darum kümmert, und aus seinem sich unablässig wie bei einem Wiederkäuer bewegenden Mund rinnt der Speichel die scharfen Hautfalten herunter, die sich von den Mundwinkeln bis unter das spitze Kinn ziehen. Welch ein ,, Ebenbild Gottes "! Später, als ich mit den Lagerverhältnissen genauer vertraut bin, weiß ich genau, daß dieser Zustand die Einleitung der unabänderlich letzten Tage ist, aber heute bin ich noch nicht im Bilde, heute weiß ich noch nichts von dem großen Sterben, das in diesem Lager umgeht, heute ist mir das grausame Wort ,, Hungertod" noch ein tragischer Begriff von des Gedankens Blässe angekränkelt und kein Erlebnis, das durch die eigenen Augen mitten ins Herz greift.
Die Musik der Lagerkapelle, die oben am Tor neben dem Mikrophon Aufstellung genommen hat, lärmt auf, ohrenbetäubend, schrill, gellend und wie mit Kanonenschlägen donnernd. Es wird irgendein Marsch gespielt, aber das ist kein Marsch, keine Musik mehr, das ist ein einziges Taktgebumse von riesigem Ausmaß, als wäre eine Horde Wilder in ekstatischem Rausch, in suggestivem Rhythmus zum Gleichschritt zwingend. Unser Kapo kommandiert: ,, Auf der Stelle im Gleichschritt-- marsch!", und die Kolonne fängt an zu marschieren. Hilfskapos schreiten die Kolonne ab und sorgen hier und da mit mehr oder minder harten Fußtritten und Faustschlägen für Ordnung und Gleichschritt. Dann nach einigen Minuten setzt sich unsere Kolonne unvermittelt in Bewegung. Wir marschieren in Richtung auf das Tor und gruppieren uns in die lange, schier endlos lange Schlange der großen und kleinen Marschkolonnen ein.
Da hören wir plötzlich durch alles Getöse entsetzlich qualvolle Schmerzensschreie. Sie stammen von einem Häftling, der oben am Tor durchgeprügelt wird. Ich werde an anderer Stelle davon ausführlicher berichten. Wir marschieren am Prügelbock vorbei, und als wir kurz vor dem Tor sind, reißen wir auf Kommando die Mützen vom Kopf. Ich bin mir nie klar darüber geworden, ob wir damit der Hakenkreuzfahne, die über dem Wachtturm wehte, oder den SS. - Leuten am Tor Reverenz erweisen mußten. Wir marschieren durchs Tor, den Karachoweg hinauf, durch das zweite Tor hinaus. Mehrfach kommandiert dabei unser Kapo: ,, Mützen ab!" und dann hinterher ,, Mützen auf!" Jeder SS.Offizier muß von der Kolonne gegrüßt werden.
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