Gedanken auch schon so absurd, so ganz im Widerspruch mit allen meinen bisherigen Erfahrungen, daß ich mich vor mir selbst schäme. Um wieviel näher liegt mir, mit tausend guten Gründen und auf tausend Erfahrungen gestützt, die Annahme, daß auch hier im Lager noch irgendeine politische Organisation vorhanden sein muß. Und meine Erfahrungen haben mir später auch in jeder Beziehung bestätigt, daß diese logische Annahme richtig war, schon lange bevor ich selbst in den Kreis der Vertrauten aufgenommen wurde und meinen Teil dazu beitragen konnte, auch hier im Konzentrationslager Buchenwald nicht nur persönlich, sondern auch im organisierten Zusammenwirken mit Gleichgesinnten meine Pflicht zu erfüllen.
Aber warum werden hier nur die Politischen bevorzugt? Sind jene Violetten, Schwarzen, Grünen usw. nicht auch Menschen, nicht im tiefsten Grunde genau solche armen Schächer wie wir Roten? Ja, verstößt diese Bevorzugung nicht gegen alle unsere Grundsätze? Habe ich nicht hundertfach und mehr erfahren, daß jeder wahrhaft politische Mensch zuerst an seine Mitmenschen und in allerletzter Linie erst an sich selbst denkt? Wer gibt hier wem das Recht, solche Bevorzugung zu organisieren? Welches sittliche Gesetz stützt diese unterschiedliche Behandlung? Nun, noch weiß ich keine ausreichend gerechtfertigte Antwort, aber ich zweifle nicht daran, daß sie mir eines Tages gegeben wird. Denn es ist mir klar, keiner jener Häftlinge in der Kleiderkammer kennt mich und meine politische Einstellung, und dort der Kamerad, den ich auf der Fahrt nach hier im Schubwagen kennengelernt habe und von dem ich aus seinem eigenen Munde weiß, daß er Mitglied der NSDAP . war und Parteigelder unterschlagen hat, aber hier auch unter die Gruppe der ,, Politischen " eingereiht wurde, ist genau so bevorzugt worden.
Wir müssen mit den empfangenen Kleidungsstücken unterm Arm in eine andere, ziemlich große Baracke und hier unter Anweisung von Häftlingen die Kleider wechseln, nachdem wir zuvor von einem Häftling auf Läuse untersucht worden sind. Wir müssen unsere gesamten Privatsachen abgeben, nur bis zehn Mark Geld, Taschenmesser, Leibriemen, Seife, Lebensmittel, Rauchwaren und Pullover dürfen wir behalten.
Auch hier werden wir Politischen wieder abgesondert. Man fragt uns gesprächsweise vereinzelt nach unserer politischen Vergangenheit, nach unserem Wohnort, in welchen Anstalten wir unsere Strafe verbüẞt haben usw. Dort haben sich zwei Bekannte getroffen. Sie begrüßen sich mit lautem Hallo, und ich höre, wie der alte Häftling zu dem Zugang sagt: ,, Komm mit, ich mache die Sache in Ordnung."
Auch ich treffe zwei Bekannte wieder, mit denen ich in Strafanstalten
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