zu sein, die andere die große Masse. Merkwürdig nur, daß sich die große Masse so bedingungslos und augenblicklich den Anordnungen der anderen Sorte fügt. Merkwürdig? Nein, nicht merkwürdig! Wir taten es ja auch schon! Waren wir nicht auch ohne weiteres und geradezu un- begreiflich selbstverständlich den Anordnungen der beiden Mithäftlinge gefolgt? Vielleicht hätten wirNeuen es unter Umständen nicht so kriecherisch und bedingungslos getan, wie wir es hier von denAlten erlebten. Jedoch, wer weiß das?

Nach wenigen Tagen aber wußten wir bereits, daß es nicht nur zwei Sorten, sondern eine ganze Reihe von Abstufungen im Lager gab, und wir waren, je nachdem welche Art Häftling vor uns stand, genau so bedingungslos und augenblicks bereit, seinen Befehl auszuführen. Es mag vielleicht ein Unterschied zwischen dem Befehl eines Scharführers und dem eines derartigen Elitehäftlings gewesen sein, aber dieser Unter- schied war nur gradueller, nicht prinzipieller Art. Ich sollte in den nächsten Minuten den zweiten Anschauungsunterricht dafür bekommen, daß es hier im Lager tatsächlich verschiedene Kategorien von Häft- lingen gab.

Wir kommen in die Häftlingskleidungskammer. In Regalen sind Uni- formen, Wäschestücke,. Stiefel usw. in großer Zahl gestapelt. Häftlinge sind hier beschäftigt, die verhältnismäßig gut und sauber aussehen. Fast alle tragen den rotenWinkel. Wir Zugänge werden von ihnen zu- nächst sortiert. Hier die Politischen, die den roten Winkel haben sollen, da die Arbeitsscheuen und Asozialen für den schwarzen Winkel, die Bibelforscher für den violetten, die Kriminellen für den grünen, die Homosexuellen für den rosa Winkel. Die Juden erhalten noch zu ihrem Winkel einen gelben, den sie mit ihrem Farbwinkel zu einem Davids- stern zu kreuzen haben.

Von fast jedem Häftling hinter dem Ausgabetisch werde ich zunächst gefragt, welche Farbe ich habe. Neben mir steht einSchwarzer. Er bekommt offensichtlich schlechtere Kleidungsstücke als ich. Bei der Stiefelausgabe erhalte ich zunächst ein Paarausgetretene Latschen. Als der Häftling sie mir aushändigen will, fragt er:Politisch? und als ich bejahe, holt er mir ein Paar bessere Stiefel. Nur wir Politischen werden gefragt, ob wir einen Pullover oder eine Wolljacke mitgebracht hätten. Wer es nicht hat, bekommt ein solches Kleidungsstück, alle anderen Häftlingskategorien nicht.

Es ist für mich jetzt keine Frage mehr, daß hier irgendeine Organi- sation vorliegt. Einen Augenblick bin ich so naiv, anzunehmen, daß die Lagerleitung dahintersteckt, aber im selben Augenblick finde ich den

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