Ich begriff: Er wollte sich nicht weiter ausholen lassen. Es gab eben Gründe, die einen Konzentratio- när veranlaßten, zu schweigen. In diesen zwei oder drei Tagen, die ich noch im Po- lizeipräsidium Alexanderplatz verbrachte, begann sich manches vor meinen Augen zu wandeln, Die Menschen, die mich umgaben, verloren die Hüllen, mit denen sie bisher ihre Seelen verkleidet hatten. Sie schienen gläsern zu werden, und ich lernte fast ohne Mühe, ihre Herzen erkennen. Leider war die Minderwertigkeit häufiger, als die Güte. Natürlich gibt es dafür tausend Entschuldigungs- gründe. Einmal war es der Hunger, der die Leute zu Taten trieb, die sie unter normalen Verhältnissen wahrscheinlich nie begangen hätten. So grassierte zum Beispiel der Diebstahl wie eine Seuche. Man mußte sein geringes Eigentum, sogar seine Taschen, mit Argusaugen bewachen, um nicht den letzten Rest seiner Habe einzubüßen, denn jede gestohlene Klei- nigkeit wurde gegen ein lächerlich geringes Stück Brot oder gegen die Erlaubnis, an einer Zigarette mitziehen zu dürfen, verkauft. Nackter Egoismus ge- wann die Oberhand. Ich sprach mit einem Juden, der vordem ein Rit- tergut in meiner Heimat bewirtschaftet hatte. Ich werde sicher, ebenso wie Sie, ins Konzentra- tionslager gebracht werden, obwohl mir noch nie- mand den wahren Grund meiner Verhaftung gesagt hat, erzählte er.Wahrscheinlich wird auch die Tatsache, daß ich Jude bin, die einzige Veranlassung sein. Nein, ich habe keine Hoffnung, jemals wieder 21