Mir fällt die Aufgabe zu, im Namen aller meiner einstigen Leidens­gefährten, der Toten und der Ueberlebenden, an dieser Stelle zu sprechen. Ich will dabei nicht verhehlen, daß ich diese Pflicht nur mit einigem Widerstreben erfülle; denn bei jedem Gedanken an die vielen unmensch­lichen Verbrechen und satanischen Grausamkeiten krampft sich mir noch nachträglich das Herz zusammen, selbst in der Mitte dieser Hölle gestanden zu haben. Ueber tausend Tage und Nächte gab es immer die gleichen Bilder der Qualen und des Schmerzes und über tausend Tage und Nächte die gleiche Furcht vor dem Ungewissen, das an die letzten Dinge rührt, dem Tode.

Alles ist mir gegenwärtig geblieben, als ob es erst gestern geschehen wäre: die Verhaftung, die martervollen Vernehmungen, der Transport in das Lager, die ersten Peinigungen, die Greuel der nazistischen Henkers­knechte, die eigenen höllischen Qualen ebenso wie die Leiden der Kameraden, die Gespräche mit den Gefährten kurz: jeder der Tage, die immer mit Furcht angefüllt waren und dennoch in der Hoffnung auf­gingen, daß diese Schrecken einmal ein Ende nehmen und ihre Sühne finden würden.

Dann ist dieses Ende gekommen!

Ich bin weit entfernt, an Wunder zu glauben; daß es mir aber ver­gönnt war, als einer der Ueberlebenden die so lange ersehnte Freiheit und damit das Leben wiederzugewinnen, das erscheint mir so unfaẞbar und so jenseits der bisherigen grauenhaften Wirklichkeit zu liegen, daß ich es nur als Wunder begreifen kann. Wir ehemaligen KZ.- Häftlinge empfinden dabei die stolze Genugtuung, daß mit unserer Befreiung eine neue Zeit angebrochen ist, die das größte Kulturverbrechen aller Jahr­hunderte auslöschen und die Verantwortlichen dem Urteilsspruch einer empörten Welt übergeben wird.

Untersuchung: Das erste Martyrium.

Der Darstellung des Folgenden möchte ich vorausschicken, daß es sich hierbei nur um einen knappen Aufriß meiner Erlebnisse aus dem Konzentrationslager Buchenwald handelt. Ich habe aus der Fülle der Tatsachen nur Einzelheiten, Streiflichter herausgegriffen, in dem Be­streben, hier nur das Wesentliche festzuhalten. Und das kann allenfalls andeutend, niemals aber erschöpfend geschehen.

Es ist mir nicht gegeben, auch die nervenzerreißenden Kämpfe des Gewissens und die Folter der Seele zu schildern. Das bleibe einem anderen Leidensgefährten vorbehalten.

Als ich in meiner Wohnung zusammen mit dem Sohn meiner Wirtin verhaftet wurde, wußte ich nicht, weshalb um fünf Uhr morgens drei Männer der Gestapo geschickt wurden, die meine Wirtin brutal zur Seite schoben, an mein Bett traten und riefen: Sofort mitkommen! Raus, raus!" Während ich mich anzog, durchsuchten die Gestapo­ leute mein Zimmer nach verbotenen politischen Druckschriften. Sie

4