Ich war nicht nur vom Gegenteil überzeugt, sondern auch von der Gewißheit erfüllt, daß der Faschismus, einmal in Deutschland heimisch geworden, sich in unse­rem Lande bei der Gründlichkeit, mit der die Deut­ schen alles zu tun pflegen, in zehnfach verschlimmer­ter Form austoben werde. Als die Septemberwahlen 1930 die Gefahr in voller Größe offenbarten, war es zur wirksamen Gegenwehr bereits zu spät geworden. Das Schicksal nahm seinen unabwendbaren Lauf. Grau ist alle Theorie. Der Mensch erkennt nichts gründlich, ehe er es nicht am eigenen Leibe verspürt. Völker, die den Faschismus nicht praktisch erlebt haben, können sich keine Vorstellung von seiner Wirkung und den Formen machen, unter denen er sich durchsetzt und behauptet. In Italien kam er durch Gewalt und in offe­nem Aufstand zur Regierung. In Deutschland erreichte er sein Ziel mit einer Mischung von Gewalt und schein­barer Legalität, was viel schlimmer und gefährlicher war, weil es ihm nach innen den Schein von Recht­mäßigkeit verlieh und nach außen den Eindruck weck­te, er werde durch die Mehrheit des deutschen Volkes gebilligt. In Wirklichkeit hat der Nazismus nie die Mehrheit gehabt, solange das Volk noch die Möglich­keit besaß, in freier und unbeeinflußter geheimer Wahl seinen politischen Willen zu bekennen. Dummköpfe und Halunken im Adel, im Bürgertum, in Hochfinanz und Agrariertum haben ihm die Steigbügel gehalten, mit deren Hilfe er sich in den Sattel schwang. In blin­dem Haß gegen alles Demokratische fühlten sie nicht, daß sie mit der demokratischen Verfassung zugleich den Ast absägten, auf dem sie selbst saßen. ,, Den Teu­fel merkt das Völkchen nie, selbst wenn er es beim Kra­gen hätte!" Die politische Zersplitterung der Arbeiter­schaft und die historisch überkommene, aber unglück­

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