Verantwortung für diese Erscheinung fällt auf das Hit­ler- Regime zurück, das im Widerspruch zu allen völ­kerrechtlichen Überlieferungen die Söhne eines Landes in den Kriegsdienst gepreẞt hatte, das bei Ausbruch des Krieges zum Gebiet des Gegners gehörte. Bürkel hatte nun angeordnet, daß von jeder Familie, in der sich ein solcher Fall ereignete, ein Familienmitglied als Geisel verhaftet werden mußte. Man hatte die Wahl zwischen dem Vater, der Mutter oder einer Schwester des Fahnenflüchtigen. Da war es selbstverständlich im­mer der Vater, der den schweren Gang antrat, der für viele in den Tod führte.

Die alten Männer hatten eine entsetzliche Fahrt hinter sich. Ausgehungert und zu Tode erschöpft, kamen sie an. Ein biederer breitschultriger Bauer namens Grusem wurde mein Bettnachbar. Vor dem Einschlafen erzählte er mir sein Schicksal. Als strenggläubiger Katholik sprach er morgens und abends sein Vaterunser. Wenn er das nicht mehr könnte, sagte er zu mir, würde er dieses Leben nicht aushalten. Er störe mich doch hof­fentlich mit seinem Geflüster nicht. ,, Nein, lieber Ka­merad", entgegnete ich ,,, sprich ruhig dein Vaterun­ser. Ich freue mich, wenn du Trost darin findest." ,, Stört es auch den Berliner Kommunisten nicht, der an meiner rechten Seite liegt?" ,, Sei versichert, den stört es auch nicht. Glaube mir, daß auch er Achtung vor deinen Gefühlen hat, wenn seine eigenen auch von ganz anderer Art sind. Wir sind alle tolerant gewor­den gegen die Gefühle und Überzeugungen unserer Leidensgenossen." Nach meiner Entlassung konnte ich einen Berliner Verwandten Grusems ermuntern, ihm Nahrungsmittel ins Lager zu senden. Dieser hatte keine Ahnung, daß sein Onkel aus dem Elsaß ins Lager Sach­senhausen verschleppt worden war. Leicht war es nicht,

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