9.00 Uhr das Reichstagsgebäude in Flammen aufging, war alle Welt davon überzeugt, daß die Nationalsozia­listen es selbst angezündet hatten. Nur sie hatten Gewinn von der entsetzlichen politischen Verwirrung, die diese Tat in den Köpfen der deutschen Wähler hervorrufen mußte, und nur sie hatten auch die Mög­lichkeit, das Verbrechen für ihre wahltaktischen Ab­sichten auszuwerten. Das geschah denn auch in einer kaum für möglich gehaltenen Weise. Zunächst wurde der Brand als der kommunistische Racheakt für die Besetzung des Karl- Liebknecht- Hauses in Berlin und als ein Fanal zum Bürgerkrieg bezeichnet. Es folgte das Verbot aller kommunistischen Zeitungen, Zeitschrif­ten, Flugblätter und Plakate. Der Führer der kommu­ nistischen Reichstagsfraktion, der Abgeordnete Torg­ ler , wurde der Mittäterschaft bezichtigt. Gegen Plakate und Druckschriften der Sozialdemokratischen Partei wurde ein vierzehntägiges Verbot erlassen, was prak­tisch der Unmöglichkeit gleichkam, die Wähler durch das gedruckte Wort zu beeinflussen. Das ,, Vorwärts"- Gebäude in Berlin wurde besetzt. Eine Verordnung zum Schutze von Volk und Staat erging, welche die persönliche Freiheit, die Presse- und Versammlungs­freiheit beschnitt, Haussuchungen und Beschlagnah­mungen erleichterte und die Todesstrafe auf eine Reihe von Verbrechen ausdehnte, für die sie bisher nicht an­gedroht war. Zahlreiche Haftbefehle gegen kommuni­nistische und sozialdemokratische Abgeordnete er­gingen.

Während die Opposition gegen den Faschismus in ei­ner solchen Weise geknebelt wurde, offensichtlich um ihren Anhängern den Schreck in die Glieder zu jagen, genossen die Wahlredner der NSDAP . unter dem Schutze der SA und SS volle Terrorfreiheit. In wel­

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