das Kaiserreich in den rund fünf Jahrzehnten seiner Existenz. Während der zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft sind diese Errungenschaften nur gefährdet, verwässert und entwertet, nicht aber um ein Jota grundsätzlich erweitert worden. Nichts kann darüber hinwegtäuschen, daß der Nationalsozialismus durch die Zerschlagung der Gewerkschaften und den Raub des Koalitions- und Streikrechts die Arbeiterschaft waffenlos gemacht und ihr als Ersatz nichts anderes als leere Redensarten geboten hat.
Wie sehr diese Entwicklung der nationalistischen Reaktion Abbruch tat, zeigte der Ausfall der Reichstagswahl von 1928. Die Nationalsozialisten blieben die unbedeutende Gruppe, die sie waren und auch die Deutschnationalen verloren eine Reihe von Mandaten. Gleichzeitig erhöhten die Sozialdemokraten und die Kommunisten ihre Stimmenzahlen erheblich. Zwei Jahre später war das Bild völlig verändert. Die bürgerlichen Parteien zeigten starke Auflösungserscheinungen zugunsten des Faschismus. Die Nationalsozialisten stiegen von 809 541 Stimmen auf 6 406 397 Stimmen und steigerten die Zahl ihrer Mandate von 13 auf 107. Waren das auch nur 22 Prozent der abgegebenen Stimmen und 20 Prozent der Mandate, so war doch diese gewaltige Veränderung zweifellos der Ausdruck einer gefahrdrohenden gegenrevolutionären Situation. Welche Ereignisse waren eingetreten, um sie auszulösen?
Im Laufe des Jahres 1929 setzte eine allgemeine Weltwirtschaftskrise ein, die in allen Industriestaaten der Welt, vor allem aber in Deutschland in wachsendem Maße zu einer starken Arbeitslosigkeit führte. Dieses Unglück war Wasser auf die Mühle der deutschen Katastrophenpolitiker. Nationalistische Exzesse trugen dazu bei, diese Krise durch erneute Erschütterungen des
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