hatte, daß man unauffällig weiterleben solle. Er hatte gedacht, daß es ihm und seiner Familie mit Leichtigkeit gelingen werde, unauffällig weiterzuleben. Und jetzt, schon am ersten Tag der Unsicherheit und Unfreiheit, ergab es sich, daß es schwer, wenn nicht unmöglich war, unauffällig weiterzuleben. Edmund und Jarmila waren seit vier Jahren unzertrennlich. Im Gymnasium hatten sie einander gefunden, sie studierten gemeinsam an der medizinischen Fakultät, sie besuchten einander jeden Tag. Anfangs hatte es Rada befremdet, daß ein junges Mäd­chen einen jungen Mann besuchte. Allmählich hatte der alternde Mann die Unbefangenheit der jungen Genera­tion schätzen gelernt. Edmund und Jarmila schienen ein­ander zu ergänzen. Beide liebten ihr Studium und ihren künftigen Beruf, den sie für den wichtigsten und schön­sten hielten. Während aber Edmund, der die ernsten graublauen Augen seines Vaters hatte, selten lachte, gab sich die oft übermütige Jarmila gern ihrem Hang zum Überschwang hin.

Ihr Vater war ein Journalist, der seit vielen Jahren den Faschismus bekämpfte. Rada befürchtete, daß Jarmilas Elternhaus nicht lange der Aufmerksamkeit des Feindes entgehen werde. Vielleicht holte die Gestapo den Jour­nalisten schon heute. Was geschähe, wenn ihr Vater, der sich verbergen mußte, mit ihr käme? Es war ihr zuzu­trauen, daß sie auf diesen Ausweg verfiele. Rada stand erregt auf. Er erkannte, daß ihm neue, bisher ungeahnte Pflichten auferlegt waren, die mit denen, die seit Jahr­zehnten seinen Lebensinhalt bildeten, nicht in Einklang standen. Er hatte die Pflicht, jeden Tschechen, der sich vor der Gestapo verbergen mußte, aufzunehmen. Da­durch erwuchs ihm die Pflicht, die eigene Familie zu ge­fährden.

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