Das Gespenst des HUNGERS war ständig auf der Lauer. Der Hunger war zur fixen Idee geworden. Wie bereits erwähnt, bestand die Durchschnittszuteilung aus zwei- bis dreihundert Gramm Brot pro Tag, sowie einem Liter dünner Suppe und einem sogenannten Kaffee am Morgen. Manchmal gab es zusätzlich fünf Gramm Margarine, eine Scheibe Wurst- Ersatz oder einen Löffel sogenannter Marmelade. Dies alles wohlverstanden für die Arbeiter, welche zehn bis zwölf Stunden pro Tag, wenn nicht länger, mit Zuchthausarbeiten im Freien oder in den Fabriken, Tunneln und Bergwerken zubrachten.
Für die Kranken galt die Devise: Wer nicht arbeitet, braucht nicht zu essen! Sie mußten sich bei halber Ration erholen: hundertfünfzig bis zweihundert Gramm Brot, einen halben Liter Suppe und keine Zulagen.
Einige wenige Familien hatten die Erlaubnis erhalten, Pakete schicken zu dürfen. Diese wurden von den ,, Kriminellen " geplündert. Selbst die Rot- Kreuz- Sendungen, meist unterwegs schon beschlagnahmt, gelangten nur ausnahmsweise in den Besitz des Empfängers. So wurde der Anteil eines jeden, wie unschätzbar er auch war, unendlich klein und mager.
Die Tragödie des Hungers, welche sich Monate und Jahre lang hindurch abspielte, löste naturgemäß nur einen einzigen Gedanken aus, der alles andere in den Hintergrund stellte: Essen! oder wenigstens das Hungergefühl irgendwie befriedigen! Völlig vernünftig denkende Menschen überlegten sich allen Ernstes, ob sie die Suppe in einem Zuge hinunterlöffeln oder sie ganz langsam, Schluck für Schluck, zu sich nehmen sollten, um das Vergnügen zu verlängern? Das Brot vorher oder nachher essen? In kleinen Brocken oder in dünne Scheiben geschnitten? Das Klügste wäre vielleicht, wenn auch nur illusorisch, es in mehrere Portionen als kleine Zwischenmahlzeiten einzuteilen? Nahte die Essenszeit heran, schienen die Menschen von einer Art Besessenheit erfaßt zu werden. Man überbot sich in Schilderungen kulinarischer Genüsse und es wurde zur Manie, phantastische Menüs zusammenzustellen.
Wenn man vor Hunger nicht mehr ein noch aus wußte, versuchte man Gras, Blätter und Hobelspäne, kurz alles, was gekaut werden kann, zu essen. Manchmal war der Durst quälender als der Hunger. Man spielte mit seinem Leben, indem man sich aus der Reihe herausschlich, um in der hohlen Hand Wasser aus einer schmutzigen Pfütze zu trinken.
DIE STÄNDIGE TODESGEFAHR wurde zur Vertrauten! Viele dachten nicht mehr an sie, teils aus angeborener Tapferkeit, teils unbewußt, doch schließlich alle aus Gewohnheit. Der Tod gehörte mit zu den zahlreichen dumpfen ,, Scherereien", die ein Bestandteil des systematischen Erniedrigungsplanes menschlicher Würde waren, der als ,, große Idee" der Organisation aller Lager zugrunde lag.
Daß hier ein einheitlicher Plan vorlag und nicht die Auswirkung unvermeidlicher Zufälle bei der Anwendung der Methoden im einzelnen, beweist unter anderem die Gleichmäßigkeit der abscheulichen Maßnahmen, die in den zahlreichen Lagern, die raummäßig sehr weit entfernt von einander lagen, angewendet wurden.
Die Verteilung von Stricken für die ,, befohlenen Selbstmorde" ist nicht etwa die Spezialität irgend eines Henkers, sondern ein fast offizieller Brauch im STRUTHOF( Elsaß ), sowie in MAUTHAUSEN ( Österreich ) und in DACHAU ( Bayern ). In den Gegenden, wo eisiger Winter herrscht, sind die Bäder und Duschen unter freiem Himmel eine traditionelle Strafmethode! Fast überall begleiten burleske Musikkapellen die Foltern und die Leichenzüge. Die unwürdige Anlage der Aborte, die Schmutz und Epidemien hervorrufen und der Wassermangel mit den Qualen des Durstes, sind keineswegs das Resultat vereinzelter Nachlässigkeiten, sondern fast allgemeine Regel.
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Die ständige Ungewißheit ist viel schlimmer als die eigentliche Gefahr. Man weiß nie, ob man alles richtig ausgeführt hat. Die korrekteste Unterordnung bürgt nicht für eine relative Sicherheit. Fast nirgends herrscht eine strikte Ordnung die Willkür regiert! Laufen, marschieren, stillstehen, sprechen oder schweigen irgendeine Haltung, die gestern vielleicht noch erlaubt, ja sogar Vorschrift war, kann morgen plötzlich die Wut eines der Aufseher entfesseln, der allmächtig ist, wenn es sich darum handelt, dem Gefangenen zu schaden. Jeden Augenblick ist das Schlimmste zu befürchten.
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Was nun die ,, GEWOLLTE HERABWÜRDIGUNG" betrifft, so gibt es wohl kaum etwas Unwürdigeres, als ein menschliches Wesen zu zwingen, auf allen Vieren zu laufen, mit einem Halsband in einer Hundehütte zu schlafen, zu bellen, zu beißen und seine Suppe zu schlappen! Diese Absicht wird noch bewiesen durch die Anordnung grotesker Übungen, wie das Umherwaten im Schlamm und die lächerlichen Tänze, die von allen Männern des Lagers in Gegenwart aller Frauen vorgeführt werden müssen. Gibt es etwas Aufreizenderes, als die Gefangenen zu zwingen, sich gegenseitig zu geißeln?
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