Liebe Eltern!
Ich richte diesen Brief zu Papas Geburtstag an Euch beide. Die Wünsche, die nie so brennend waren wie in diesem Jahr, gelten Euch gemeinsam. Es sind die Wünsche der ganzen Familie. Die Hoffnung, daß sie wie durch ein Wunder ganz unversehrt aus dem großen allgemeinen Unglück hervorgeht, wage ich fast nicht auszusprechen. Es geht ja längst wie eine Naturkatastrophe über die Menschen hinweg, und die Natur ist verschwenderisch. Ich glaube aber, daß das Ungewitter über unserem Hause bald vorübergeht. Die Verfolgungen werden ein Ende haben und den Überlebenden wird es sein wie den Träumenden. Daß dieser Frieden Euch noch lange nach Eurem Kummer wohltut und daß Ihr ihn noch recht genießt, ist mein Wunsch und meine Bitte.
Die Gewißheit, daß Euch allen ein neues Leben wieder beginnt, ist so schön. Auch mein Schicksal kann sich wohl noch plötzlich wenden. Ich bin aber darauf gefaßt, daß mein Leben bald abläuft. Diese beiden Möglichkeiten scheinen so denkbar weit auseinanderzuliegen, daß ich als Mensch von Fleisch und Blut mich doch immer wieder umstelle und unter dem Eindruck dieser ersten Frühlingstage auch in schwachen Stunden schwanke.
Aber ich will ja nicht nur leben, sondern mich eigentlich erst einmal auswirken. Da dies nun wohl durch meinen Tod geschehen soll, habe ich mich auch mit ihm befreundet.
Bei diesem Ritt zwischen Tod und Teufel ist der Tod ja ein edler Genosse. Der Teufel paßt sich den Zeiten an und hat wohl auch den Kavaliersdegen getragen. So hat ihn dann die Aufklärung idealisiert. Das Mittelalter, das auch von seinem Gestank erzählte, hat ihn besser gekannt.
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