Liebe Alma und Otto!

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Ich wende mich heute an Euch! Es geht mir um mein Kind und an meine Angehörigen kann ich mich nicht wenden, da ich von diesen nichts weiß. Ich befinde mich seit dem 10. Juni hier in Schutzhaft. Wie lange diese Maßnahme dauern wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Klein- Wilfriede wurde mir am 10. Juni sofort genommen und in das NSV- Kinderheim nach Waiblingen gebracht. Nie werde ich das herzzerreißende Weinen des Kindes vergessen, als es mir von fremden Händen genommen wurde.

Es könnte immerhin sein, daß das Kind eines Tages auch noch die Mutter der Zeit zum Opfer bringen muß. Da möchte ich vorsorgen. Ich bitte Euch also, wenn das Schlimmste eintreten sollte, nehmt Euch des Kindes an, seid ihm Vater und Mutter und erzieht es zu einem rechten Menschen. Vergeßt aber nie, unserm Kind, wenn es einmal in ein verständiges Alter gekommen ist, vom Leben und Sterben seiner Eltern zu erzählen.

Ich wünsche unserem Kind ein glücklicheres Leben, als es das meine bisher war. Möge es nie solche Schläge im Leben bekommen. Für mich war das Kind ein unsag­bares Glück, insbesondere als mich die grausame Nach­richt von Walters Tod traf. Heute bereitet mir das Kind schmerzlichen Kummer. Vielleicht wäre es besser ge­wesen, das Kindchen wäre mir nie geschenkt worden.

Daß mein Herz voll Bitternis ist, versteht Ihr vielleicht, vielleicht auch nicht. Bleibt gesund und wohlbehalten. Mit vielen herzlichen Grüßen

Eure Trudel

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