Zuchthaus Brandenburg, den 9. September 1944
Du meine Änne!
Es gibt Höhepunkte im politischen und im persönlichen Leben. Der Krieg hat mit seiner Konzentration aller Kräfte seinen Höhepunkt und in Kürze seine Entscheidung erreicht. Mit der Entscheidung steigert sich die Zahl der Opfer, die wir, die Freund und Feind, bringen müssen. Wenn ich nun auch sterben muß, so habe ich das große und vielleicht schmerzende Glück, Dir vor meinem Tode noch schreiben zu können. Wir beide, mit unserer großen Liebe, sollen und müssen uns für immer trennen.
Schon mit diesem Brief will ich Dir, mein Kamerad, danken für das Große und Schöne, das Du mir in unserem gemeinsamen Leben gegeben hast. Am 5. September bin ich vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Erst heute, mit diesen Zeilen, habe ich wegen der Gedanken an Euch die ersten nassen Augen nach dem Urteil. Denn das Weh, das mich zerreißen könnte, hält der Verstand zurück. Du weißt, ich bin ein kämpferischer Mensch und werde tapfer sterben. Ich wollte immer nur das Gute. Der Höhepunkt unseres persönlichen Lebens ist unser Kennenlernen vor 3/2 Jahren und unser reifes Genießen, unsere schöne Zeit. Nur die Dichtkunst kennt wolkenloses Glück und ewige Jugend. Unsere Wolken waren kriegsbedingt, waren Wolken der Sorge. Freud und Leid, so wie es war, ist die Einheit unserer kurzen, großen, reifen Liebe. Nur ich weiß, daß unser Bärbel ein bewußtes Kind dieser großen, mächtigen Liebe ist. Gerade, weil ich Dich kenne, ist mir nicht bange um Ernährung und Erziehung unserer Tochter.
Mutti! Fühle Dich umarmt und fühle Dich geküßt wie in den schönsten Tagen. Grüße alle Menschen, die mich schätzen und lieben. Lebet wohl!
Immer bin ich, bis zu Deiner letzten Stunde
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Dein Anton


