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Meine lieben Freunde und Bekannten!

Am Vortag zu meinem Prozeß heute ist Sonntag drängt es mich, Euch allen noch einmal zu danken für Eure Güte und Liebe, mit welcher Ihr mich in der Frei- heit und besonders in den zwei Jahren meiner Inhaftie- rung beglückt habt. Diese Liebe und Güte wird mich auch das Schwerste ertragen lassen, denn es besteht kein Zweifel, daß ich ein Todesurteil erhalte.

Ihr sollt deshalb aber nicht trauern, ich habe ein reiches Leben gehabt, wie es viele nicht haben, die 60 Jahre oder noch älter werden. Ich habe so viel glückliche Stunden genossen bei der Arbeit, im Freundeskreis und auf meinen Reisen. So ging mein Kampf letzten Endes nur dahin, allen Menschen zu solchen glücklichen Stunden zu verhelfen. Diese Erkenntnis gewann ich auf meinen vielen Wanderungen und Reisen, und glaubt mir, so sehr ich das Leben liebe, so gerne sterbe ich für diese meine Idee.

Als junges Mädchen fand ich einen Spruch von Plato , den ich mir zum Lebensziel und Inhalt setzte:

Denken was wahr

und fühlen, was schön

und wollen, was gut ist.

Darin erkennt der Geist

das Ziel des vernünftigen Lebens.

Nun geht das Leben zu Ende, es ist Schicksal, man ent- geht ihm nicht.

Darum gedenkt meiner in Liebe und trauert nicht. Ich wünsche Euch Gesundheit, damit Ihr einst am Aufbau unseres Vaterlandes mithelfen Könnt.

Es umarmt Euch in Liebe und Dankbarkeit Eure Lotte

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