Berlin- Plötzensee, den 22. Dezember 1942

Geliebte Eltern!

Es ist nun soweit. In wenigen Stunden werde ich aus diesem Ich aussteigen. Ich bin vollkommen ruhig, und ich bitte Euch, es auch zu sein und es gefaßt aufzuneh­men. Es geht auf der ganzen Welt um so wichtige Dinge, da ist ein Menschenleben, das erlischt, nicht mehr sehr viel. Was gewesen ist, was ich getan davon will ich nicht mehr schreiben. Alles, was ich tat, tat ich aus meinem Kopf, meinem Herzen und meiner Überzeugung heraus, und in diesem Rahmen müßt Ihr als meine Eltern das Beste annehmen. Darum bitte ich Euch.

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Dieser Tod paßt zu mir. Irgendwie habe ich immer um ihn gewußt. Es ist sozusagen mein eigener Tod, wie es einmal bei Rilke heißt. Es wird mir sehr schwer, wenn ich an Euch Lieben denke. Libertas ist mir nahe und teilt mein Schicksal zur Stunde. Ich hoffe nicht nur, ich glaube, daß die Zeit Euer Leid lindern wird. Ich bin nur ein Vor­läufer gewesen in meinem teilweise noch unklaren Drän­gen und Wollen. Glaubt mit mir an die gerechte Zeit, die alles reifen läßt.

Ich Ich denke an Vaters letzten Blick bis zuletzt. denke an die Weihnachtsträume meiner lieben kleinen Mutter. Es bedurfte dieser letzten Monate, um Euch so nahe zu kommen. Ich habe ganz heimgefunden nach so viel Sturm und Drang , nach so viel Euch fremd anmuten­den Wegen.

Ich denke an manchen zurück, an ein reiches und schönes Leben, von dem ich so vieles Euch verdanke, so vieles, das nie gelohnt wurde.

Wenn Ihr hier wäret, unsichtbar seid Ihrs, Ihr würdet mich lachen sehen angesichts des Todes. Ich habe ihn längst überwunden. In Europa ist es nun einmal üblich, daß geistig gesät wird mit Blut. Mag sein, daß wir nur ein paar Narren waren, aber so kurz vor Toresschluß hat man wohl das Recht auf ein bißchen ganz persönliche Illusion.

Ja, und nun gebe ich Euch allen die Hand und setze nachher eine( einzige) Träne hierher als Siegel und Pfand meiner Liebe.

Euer Harro

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