Liebe Mutter!

Wenn Du diesen Brief erhältst, lebe ich nicht mehr. Ich hoffe und wünsche von ganzem Herzen, daß Du diese Nachricht ebenso ruhig und gefaßt aufnimmst, wie ich heute mittag die Mitteilung von meiner heute abend zu vollziehenden Hinrichtung entgegennahm. Sei überzeugt, daß ich bis zum letzten Augenblick mich in der Gewalt haben werde, und ich erwarte fest, daß auch Du nicht und niemals verzweifeln wirst, was auch kommen mag. Du schriebst einmal, wir zwei bilden eigentlich eine Einheit, und dies ist auch mein unverbrüchlicher Glaube. Diese Verbundenheit kann nun auf ewig nicht mehr getrennt werden. Bei unverdorbenen Völkern herrscht der schöne Glaube, daß man nach seinem Tode in den Schoß der Mutter zurückkehrt. Dies habe ich, wenn auch in über­tragenem Sinne, zu meinem Glauben gemacht. Denn sieh, wenn es eine überirdische Macht gibt, so sind wir doch alle nur Ausdrucksformen Gottes. Mit unserem Tode ver­einigen wir uns wieder mit dem Ursprung, der eine früher, der andere später. So sind auch wir von nun ab wieder unzertrennbar vereint. Wir haben alle hier auf Erden eine Aufgabe zu erfüllen und meine Aufgabe ist nun er­füllt. Ich komme zu Dir zurück.

Dir aber wünsche ich, daß Dir noch in einem recht lan­gen Leben viel Gutes und Schönes beschert werde, daß Du Dir Deinen Lebensmut und Deine Lebensfreude nie rauben läßt und daß Du dereinst genau so ruhig und zuversicht­lich den unvermeidbaren Gestaltwechsel vollbringst, wie ich ihn zu vollbringen hoffe.

Herzlichste Grüße an Dich auf immer von

Deinem Hanno

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