Rudi Goguel
Bezirkskrankenhaus
Düsseldorf- Derendorf, den 3. 1. 35
36. G. 2465-34
Liebe Lydia!
Dies ist mein erster Brief im neuen Jahr: er gilt Dir, wie auch meine Gedanken zuerst und oft bei Dir waren und wenn einmal ein paar trübe Gedanken an Dich herankommen, so wünsche ich mir, daß Du nicht bitter gegen mich wirst, sondern daß Du verstehen mögest, daß mein Weg ein zwangsläufiger ist.
Vera Figner hat zwanzig Jahre in der Peter- Pauls- Feste gesessen, und sie war eine Frau, und da sollte ich nicht drei oder fünf Jahre meines Lebens opfern können? Wenn Du mich kennst, weißt Du, daß ich meine vielen tausend Kameraden nicht im Stich lassen kann, genau so wenig, wie viele Patrioten im Weltkrieg aus dem Schützengraben desertiert wären, um bei Frau und Kind zu sein.
Rudi.
Der 15. Januar beginnt wie jeder andere Tag. Fern von meinen Genossen, die drüben im Untersuchungsgefängnis sitzen, habe ich als einzige politische Lektüre im Lazarett nur den ,, Leuchtturm"*)..
Barthou und König Alexander waren in Marseille ermordet worden. Näherte sich bereits die Katastrophe, die einige unserer führenden Funktionäre angekündigt hatten? Kirchenblätter berichteten von großen Demonstrationen der ,, Bekenntnisfront". Gerüchte über die Verhaftung einer katholischen Jugendorganisation unter Generalpräses Wolker in Düsseldorf , die angeblich mit Kommunisten zusammenarbeitete, hatte Barbier kolportiert. konnte man schon mit Zuversicht in die Zukunft sehen,
der
So
*) Häftlingszeitschrift der Justizbehörde
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