Mutterherz erneut aufs tiefste erschüttert, als nämlich ein Kindertransport aus Rußland im Lager eintraf. Blauäugige Russenkinder, bleich wie die Schatten, im Zustand völliger Erschöpfung, nach einer über vierzigtägigen Fahrt. Blasse, verängstigte Kindergesichter schauten uns durch die Barackenfenster an. Die ältesten Kinder waren vierzehnjährig bis zu einige Monate alten Säuglingen. Der jüngste„ Häftling" war erst vier Monate alt; die ihn auf dem Arm haltende Mutter zeigte uns weinend sein winziges, stark geschwollenes Ärmchen mit der frisch tätowierten Nummer. Uns Müttern kamen die Tränen. So standen wir uns oft gegenüber, nur durch die trüben Fensterscheiben der Elendsbaracken getrennt, und blickten uns teilnahmsvoll an, vereint in der gemeinsamen Sorge und Angst um das Schicksal dieser blassen, elenden, numerierten Kinder.
Am nächsten Tage streckten hungrige Kinder ihre Händchen nach einem Stückchen Zucker oder etwas Zwieback aus.
Wie oft mußte man den erschütternden Anblick kleiner Kinderleichen auf der Totenbahre ertragen, wie oft traf man Mütter mit kranken, verhüllten Kindern auf dem Wege zur Ambulanz ―und jedesmal senkte man tiefergriffen den Kopf und fühlte im Herzen immer wieder denselben Schmerz, den nur eine Mutter kennt. So verlief das Lagerleben keineswegs eintönig, obwohl es diesen Anschein erwecken könnte; es ereignete sich eigentlich ständig irgend etwas Aufregendes, was die Menschen bis in die tiefsten Tiefen ihrer Seele erschütterte, wogegen sich alles in ihnen auflehnte und das die edelsten, menschlichen Gefühle verletzte.
Es war im Herbst, als sich die Zahl der russischen Kinder wohl schon um die Hälfte verringert hatte, da verbreitete sich
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