RATTEN

Als kleines Mädchen habe ich irgendwann einmal eine gefan­gene Ratte in einer Falle gesehen. Ich weiß nicht warum, aber mich erfaßte damals ein Grauen und ein Ekel bei dem Anblick dieses Tieres mit dem nackthäutigen Schwanz. In meinem späteren Leben bin ich glücklicherweise nicht mehr mit diesem ,, Haustier" in Berührung gekommen bis ich ihm an einem Maienmorgen in Auschwitz wieder begegnete. Wir erhielten den Auftrag, die Abfälle, Ziegel und Steine neben den Krankenbaracken, ,, Revier" genannt, zu besei­tigen.

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Es war ein selten schöner, sonnendurchglühter Mai mit wolkenlosem, blauem Himmel. Hoch, hoch in den Lüften sang schmetternd eine Lerche. Merkwürdigerweise überflogen andere Vögel fast nie unser Lager, nur die Lerchen hatten. den Mut, sicherlich deshalb, weil sie so hoch in den Lüften fliegen. Den gewöhnlichen grauen Haussperling habe ich dort nicht ein einziges Mal gesehen.

An diesem Tage war die Arbeit nicht sonderlich anstrengend. Gelangweilt stand der Blockführer an die Barackenwand ge­lehnt und schaute in eine ganz andere Richtung, alle Kapos kreischten weniger bedrohlich als sonst und schielten dauernd auf den Brotwagen für die Kranken, um im geeigneten Au­genblick einen Laib Brot zu stibitzen. In Anbetracht der gün­stigen Lage riskierte ich, mich von dem mir zugewiesenen Arbeitsplatz um einige Meter zu entfernen. Vielleicht würde ich dort jemanden treffen, vielleicht etwas Neues erfahren?

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