pert. Manche liegen im Schlamm. Die Sinne fangen an zu schwinden. Ich muß zurück.
Regelmäßig ertönt in der Frühe der erste Befehl der Lagerleitung: ,, Leichenträger ans Tor!" Sie haben vollauf zu tun. Der Tod hält reiche Ernte. Von Zeit zu Zeit müssen sämtliche Insassen der Baracken I A bis 5 A auf dem Appellplatz antreten. Dann durchsucht die SS mit Hilfe einiger Häftlinge die Baracken. In den Ecken liegende Tote werden bei dieser Gelegenheit ans Tageslicht gefördert. Dann müssen wieder ,, die Leichenträger ans Tor!" Mit dem Tritt des Eroberers schreitet der Tod immer siegreicher. Und ringsum auf Schildern mit weißem Untergrund grinst der Totenkopf der SS.
Es sieht aus, als ob der Lagerkommandant Koch eine menschliche. Regung habe: Die sämtlichen Insassen der Arrestzellen kehren in ihre Baracken zurück. Aber schon am nächsten Tage wissen wir, was diese Geste auf sich hat.
Die Zellen des Arrestbunkers werden für diejenigen jüdischen Häftlinge benötigt, die jetzt in der alten Küche als Geisteskranke untergebracht sind. Der erste Schub sind etwa 30 dieser Aermsten, die aus ihrem Loch geholt werden. Dicht vor meinem Fenster werden sie nebeneinander aufgestellt, müssen sich anfassen, und dann setzt sich langsam der Zug der Todeskandidaten in der Richtung Lagereingang in Bewegung. In den gestern leergemachten Zellen werden sie untergebracht. Jeden Tag geht eine kleine Gruppe der Kücheninsassen langsam denselben Weg, ihren letzten Gang.
Unter den jüdischen Häftlingen, die im September aus Dachau kommend in Buchenwald eingeliefert wurden, habe ich einige Bekannte, u. a. einen Häftling, mit dem ich etwa zwei Wochen in einem Kellerraum des ,, Alex" in Berlin untergebracht war. Er ist mir heute noch in Erinnerung als Sekretär der Weltliga der jüdischen Jugend in Palästina. Er hieß Sörtil. Und dieser Sörtil war einer der Leichenträger von Buchenwald . Das Kommando ,, Die Leichenträger ans Tor!" galt immer auch für ihn. Stumm verrichtete er diese Arbeit. Er sah die scheußlichen Todeswunden der gemordeten Juden, seiner Stammesbrüder, den Trägern seines Blutes. Ich habe oft Gelegenheit gehabt, mit ihm zu sprechen, und er offenbarte sich mir als einem
Vertrauten.
Vielleicht lebt er heute noch. Eines Tages wurde er unter Nennung seines Namens ans Tor gerufen und dann sahen wir ihn nicht wieder. Nach Monaten kam eine Karte aus Triest ins Lager, und aus dieser war zu ersehen, daß er mit dem Dampfer weiter nach Palästina fuhr. Sicher war er der Lagerleitung durch die Finger geschlüpft, man hatte übersehen, daß er als Leichenträger im Konzentrationslager Buchen wald beschäftigt war. Was er der Welt zu berichten hatte, waren nach Goebbels ,, Greuelpropaganda" und„, Emigrantenmärchen“.
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