Die Nässe und Kälte und das lange Stehen im Schlammhaufen üben bei mir schon ihre Wirkung aus. Nichts bleibt im Magen, alles geht ab wie Wasser. Ich verfalle schon sichtlich. Die Kameraden aus meiner engeren Heimat sind sehr besorgt um mich und geben mir gute Ratschläge. Wehe dem unbekannten Häftling, welcher niemanden hier vorfindet, der sich für ihn interessiert und ihm hilft. Er geht meistens recht schnell zugrunde.
Es gibt ein Lagerlied, seine erste Strophe lautet:
Wenn der Tag erwacht, eh die Sonne lacht Die Kolonnen ziehn zu des Tages Mühn Hinaus in den grauenden Morgen
Der Wald ist schwarz und der Himmel rot
Wir tragen im Brotsack ein Stückchen Brot Und im Herzen, im Herzen die Sorgen.
Der Tag mit seiner schweren Bürde beginnt wirklich sehr zeitig. Um 5 Uhr wird geweckt, um 6 Uhr Antreten auf dem Appellplatz, auf den die Scheinwerfer von den Lagereingangstürmen gerichtet sind. Die einzelnen Blocks müssen geschlossen heranrücken, und da der Weg durch Wasserpfützen und nassen Schlamm führt, in welchem die Füße stecken bleiben, fassen sich die Häftlinge in den einzelnen Reihen an, um diejenigen, welche im Schlamm irgendwo stecken bleiben, mitzuziehen. In der Nähe des Toreinganges geht nun der Zählappell, die für die Lagerleitung wichtigste Angelegenheit, vor sich. Die Zählung der einzelnen Blocks und dann die Gesamtzahl muß stimmen. Lebend oder tot, das ist egal, wichtig ist nur die richtige Gesamtzahl. Sterbende und sogar Tote müssen auf dem Appellplatz mit antreten, damit sie bei ihren Blocks mitgezählt werden können, denn die Zahl ist ja das Wichtigste. Es kommt vor, daß durch einen Aufrechnungsfehler die Gesamtzahl nicht stimmt, und dann dauert der Zählappell mit seinen üblen Begleiterscheinungen oft recht lange. Es regnet und schneit. Die Massen frieren. Nicht selten sterben die mitgebrachten Kranken während des Appells. Sie bleiben liegen bis zum Abrücken auf die Arbeitsplätze.
Die Nacht ist noch nicht zu Ende. Mit SS- Eskorte geht es zum Tor hinaus, nachdem wir uns vor unseren Wagen gespannt haben. Am Tor empfangen wir die Begleitposten, welche täglich wechseln, um keinen Kontakt mit den Häftlingen aufkommen zu lassen. Es ist den Posten verboten, mit den Häftlingen zu sprechen, damit sie immer in dem Glauben gehalten werden, daß wir Schwerverbrecher sind. Ein ausgehängter Befehl des Lagerkommandanten Koch an die SSTruppe lautet: ,, Ich mache darauf aufmerksam, daß es den Posten verboten ist, mit den Häftlingen zu sprechen. Sie haben sich stets vor Augen zu halten, daß auch die anständig erscheinenden Häftlinge Verbrecher sind." Trotz dieses Verbotes sprechen sie nach einiger Zeit mit uns, wenn wir abseits und aus den Augen der Vorgesetzten
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