Ich schreibe in einem Totenhaus

Einst war es ein Haus wie andere auch. Aber jetzt sind die Menschen, die darin lebten, tot. Mit einem dreijährigen Kind bin ich übrig ge­blieben. Die anderen Vater, Mutter, Schwester, Bruder, Braut und manchen guten Freund- hat die Gestapo heimlich und feige ermordet. ,, Sippenhaftung" nannten sie es.

Vor mir liegen die Schriftstücke, die der Gestapo entgangen sind. Sie interessierte sich ja viel mehr für Radio- und Fotoapparate, Fahr- und Motorräder, silberne Löffel, Ringe und Uhren, Sparkassenbücher und Versicherungspolicen. Ein paar Fotos sind mir geblieben und ein Berg Briefe aus vielen Gefängnissen Deutschlands , denn fast immer saẞ im Dritten Reich wenigstens ein Mitglied unserer Familie im Gefängnis. Mit diesen Briefen erzähle ich die Geschichte ihrer Ausrottung. Ich schreie sie jenen in die Ohren, die auch jetzt noch ,, Greuelpropa­ganda" murmeln und immer noch an die Allmacht ihrer Lüge glauben. Ich erzähle sie jenen, die immer noch fassungslos sind und hoffen, alles Geschehene sei nur ein wüster Traum; jenen, in deren Köpfen die Ahnung einer großen Schuld dämmert:- die Schuld der Gleichgültig­keit und der Tatenlosigkeit.

Ich erzähle sie der Welt, die mein Volk schlechthin und ohne Unter­schied haẞt. Sie soll wissen, daß in Deutschland zu keiner Stunde der Kampf gegen den Nationalsozialismus erlosch, daß ihm immer tapfere Männer, Frauen und Jugend entgegentraten, so wie der Nazismus immer und in aller Welt auch Freunde, Gönner und Anhänger fand. Ich erzähle sie meinen Kameraden, die wie ich litten und opferten, alle Grausamkeiten und Foltern am eigenen Leibe erlebten und die vor nie­mand in der Welt den Blick senken müssen.

Ich erzähle sie allen, die guten Willens sind und nach dem Weg der

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