Mehr als 13 Jahre sind vergangen, seitdem ich von dieser

Stelle aus zum letzten Male zu den Reutlinger Einwohnern sprechen konnte. Diese 13 Jahre haben unserem Volke so furchtbares und unsagbares Elend gebracht, daß wir heute tief erschüttert vor dem unübersehbaren Trümmerhaufen und Grä­berfeld stehen, das einst Deutschland hieß.

Ich habe damals von dieser Stelle aus als Rufer im Streite der Meinungen den Kampf gegen den Faschismus geführt und für diese meine Haltung 12 Jahre meines Lebens geopfert. So unvorstellbare Leiden haben mir diese 12 Jahre gebracht, daß es fast unmöglich ist, das Erlebte in Worte zu fassen. Bei aller Mühe wird es mir nicht möglich sein, Ihnen die seelischen Qualen und die körperlichen Strapazen zu schildern, die ich und mit mir Hunderttausende meiner Kameraden in den Ge­fängnissen und Konzentrationslagern zu ertragen hatten.

In einer meiner letzten Reden, die ich damals von dieser Stelle aus gehalten habe, habe ich auf die Boxheimer Blutdoku­mente abgehoben und versucht, Ihnen an Hand derselben das Wesen und das wahre Gesicht des Faschismus aufzuzeigen. Ich habe damals dargelegt, daß in diesen Blutdokumenten jeder Paragraph mit dem lakonischen Satze endete: wird zum Tode verurteilt."

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Ich bin damals von den Wenigsten verstanden worden. Nie­mand wollte glauben, daß das, was in jenen Blutdokumenten dem deutschen Volke ins Gesicht geschleudert wurde, jemals Wahrheit werden könnte. Tatsächlich ist aber alles, was dort der deutschen Arbeiterschaft und den Gegnern des Faschismus angedroht wurde, inzwischen blutige Wirklichkeit geworden. Und das deutsche Volk, das sich früher stolz ,, das Volk der Dichter und Denker" nennen durfte, ist inzwischen durch den Faschismus zu einem ,, Volk der Richter und Henker" degra­diert worden.

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