auf. Was ich nicht verstand, ergänzte ich aus meiner Phantasie, ersetzte ich durch die jeweils zweckmäßigen Erklärungen. Die russischen Kameradinnen, meine Lehrerinnen, zeigten über jeden Fortschritt, den ich machte, große Freude.
Neben mir arbeitete eine Belgierin. Sie sprach nur Französisch. Sie sprach rasch und viel. Durch sie lernte ich gut französisch. Ich schrieb Aufsätze, die sie korrigierte.
Alle Bürohäftlinge machten Privatarbeiten, teilweise sogar unter offener Duldung der Zivilangestellten. Nur vor der SS mußte es in jedem Falle geheimgehalten werden. Die gleichen Vorgesetzten, die die Häftlinge an den Maschinen antrieben, ließen uns relativ viel Freiheit. Warum? Die Leistung einer Maschinenarbeiterin kann man messen und prüfen. Die Arbeit eines Bürohäftlings ist schwer zu kontrollieren. Der Erfolg unserer Arbeit hing von unserem guten Willen ab. Darum mußte man uns bei Laune halten, eine Arbeitsbelohnung in Gestalt von Freizeit am Arbeitsplatz gewähren.
Gleichzeitig waren dies Versuche, uns zu korrumpieren, Versuche, die bei vielen Verwaltungshäftlingen erfolgreich waren. Die Siemens- Bürohäftlinge haben sich dagegen im allgemeinen gut gehalten. Der enge politische Zusammenhang, der von vornherein zwischen uns bestand, wirkte sich günstig aus. Selbst die Außenseiter und die unsauberen Elemente mußten sich unterordnen. Wir haben ihre Fähigkeiten meist in unserem Sinne ausnutzen können. Eine hübsche, geschickte, kleine Büro arbeitete, Hochstaplerin, die in unserem
brachte den Meister unter ihren Einfluß: durch Koketterie und durch Erpressung. Sie hatte ihm einen privaten Brief gestohlen, der ihn belastete. Wenn er Kameraden anzeigen, Meldungen machen wollte, drohte sie ihm mit verwegener und graziöser Unverschämtheit, diesen Brief zu verwerten.
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