Nach zwei Tagen wurde meine Zellengefährtin entlassen. Ich erbat heißes Wasser und ein Scheuertuch. Ich putzte die Zelle und öffnete das Fenster. Bei meiner Verhaftung hatte ich Äpfel bei mir. Sie wurden mir ausgehändigt. Ich bekam zwei Bücher aus meinem Koffer: Walter Eucken ,,, Grundlage der Volkswirtschaftslehre" und eine Geschichte der amerikanischen Volkswirtschaft. Es waren einige Tage vollkommener Ruhe und Konzentration. Stille, schöne Tage.
Mitte Januar kam ich auf Transport, nach Kon stanz . Als ich vor Sonnenaufgang, mit Polizeibegleitung, in klirrendem Frost durch die Straßen ging, begegnete uns ein Trupp Kriegsgefangener ,, Kameraden", dachte ich. Nein, ich war nicht allein. Ich gehörte zu einem Millionenheer. Stand ich nicht endlich offen auf der Seite, zu der ich immer gehört hatte: auf der Seite der Unterdrückten?
Eine helle Zelle. Sorgfältig gegen die Außenwelt abgeschlossen. Ein Kasten vor dem Fenster versperrte jede Aussicht, auch den Anblick des Himmels.
Ich hatte einen Brief an meinen Bruder geschrieben und ihm Anweisung gegeben, die Wohnung aufzulösen, meine Sachen zu verschenken oder zu verkaufen. Je nachdem. Ich würde wahrscheinlich nie mehr, frühestens aber zu einem so späten Zeitpunkt zurückkommen, daß es sich nicht lohne, für ihn Vorsorge zu treffen.
Der alte Gestapomann kam zu mir. Er brachte den Brief zurück: ,, So einen Brief kann man doch nicht abschicken! Sie haben ja lauter Dummheiten geschrieben! Wer wird denn gleich den Kopf verlieren? Sie sind noch eine junge Frau! Ein gut Teil des Lebens liegt vor Ihnen. Schreiben Sie noch
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