mein Gefühl. Mein Verstand gebot dem Gefühl Schweigen.

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Früh kam mein Bruder, mich abzuholen Ruck­sack, Handkoffer, Skier, das war mein Gepäck. Er brachte mich zum Bahnhof. Wir gingen auf dem Bahn­steig auf und ab. Plötzlich war ich entschlossen: ,, Ich werde es dir sagen!"

Und ich teilte ihm die halbe Wahrheit über den Grund meiner Reise mit: daß ich zur Schweizer Grenze führe, um einen jüdischen Freund hinüber­zubringen. Einen Augenblick Schweigen. Dann umarmte mein Bruder mich; dann küßte er mich, glücklich, begeistert. Er bat mich, meinem jüdischen Freund zu bestellen: ,, Ich, ein deutscher Student, wünsche ihm im Namen vieler deutscher Studen­ten und junger Menschen vollen Erfolg für seine Flucht. Viele von uns haben nichts mit dem Grau­sigen zu tun, das durch Deutsche geschieht. Wir sind über die Greueltaten der Nazis empört." Er versicherte mir, daß er zu mir stehen werde, was auch kommen möge.

Er hat sein Wort gehalten.

Dies war der Beginn und leider auch das Ende unserer politischen Zusammenarbeit.

Gleichmäßig ratterte der D- Zug. Ich fuhr 2. Klasse. Das Abteil war verdunkelt und lag in blauem, sanftem Licht. Außer mir war nur ein Offizier der Organisation Todt im Abteil. Ein starker Mann mit breitem Unterkiefer. Er saß, mir gegenüber, bequem in der tiefen, weichen Polsterung. Der Zug war gut geheizt.

Der Offizier kam aus dem Osten. Er freute sich, mit seinen Erlebnissen vor einer Frau prahlen zu können. Und noch dazu vor solch einer Frau wie ich, die immer nur freundlich bewundernd lächelte,

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