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Osten evakuiert werden. Darüber, daß das den Tod bedeutet, sind wir uns wohl klar." Nach einer Pause fuhr er fort: ,, Daß ich sterben werde, ist nicht das Entscheidende. Furchtbar, unerträglich aber ist es, daß ich sterben werde, ohne etwas geleistet zu haben. Mein ganzes Leben war nur Vorbereitung, nichts als Vorbereitung. Ich will, ich darf nicht sterben, ohne daß sich mein Leben lohnte. Ich bin ein Todeskandidat. Mein Leben ist nichts mehr wert. Gebt mir einen Auftrag, für den ich mein Leben einsetzen kann! Laßt mich ein Attentat verüben! Bitte! Besprich es mit den Genossen!" Mit ganz leiser Stimme fügte er nach einer Pause hinzu: ,, So kann ich nicht sterben!" Unsere Antwort an Rudi war: ,, Nein!" Er hörte die Entscheidung schweigend an. Er hatte unsere Antwort bereits gewußt, als er seine Frage stellte. Damals war ich von der Richtigkeit der Entscheidung überzeugt. Stände ich heute in gleicher Situation vor der gleichen Frage, meine Antwort wäre anders.
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Seine Mutter kam zu uns. Sie entschuldigte sich. Sie wolle uns nur ganz kurz stören, sie wisse ja, daß ich wahrscheinlich nicht mehr oft mit ihrem Sohn zusammen sein würde. In feierlichem Ton sagte sie: ,, Ich danke Ihnen für die Freundschaft, die Sie meinem Sohn gehalten haben. Ich weiß, daß Sie ihm viel bedeuten!" Dann umfaßte sie ihn, preẞte seinen Kopf an sich und sagte mit unterdrücktem Schluchzen: ,, Er und ich werden bis zum letzten zusammenbleiben."
Frau Weinberg wußte, daß ich dafür verantwortlich war, daß Rudi 1938 nicht auswanderte und daß auch sie darum in Deutschland geblieben war. Kein Wort des Vorwurfs kam über ihre Lippen.
Als sie hinausgegangen war, sagte ich ihm: ,, Rudi! Du mußt fliehen! Ich fahre zur Schweizer
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