wendig. Statt Gesellschaftswissenschaft gilt aber Gesellschaftsreligion. Der Gott ist Hitler . Das Sakrament das Blut. Wir sind arm. Daher können wir uns nicht den Luxus selbständigen Denkens leisten. Wir tun gut daran, uns auf unsere Berufs­ausbildung zu beschränken."

Was er nicht aussprach, was mir bei den Unter­haltungen mit ihm aber klar wurde: ein junger Mensch braucht Beziehungen, braucht Geltung, An­erkennung. Er sehnt sich nach Betätigung. Er sehnt sich danach, weil er jung und kraftvoll ist. Das aber schien die faschistische Gesellschaft dem jungen deutschen Akademiker zu bieten. Damals, 1941, hatte er Aussicht auf eine große Funktion, auf viel Verantwortung in weiten Räumen. Mußte nicht gerade ich die Verlockung solcher Möglich­keiten verstehen? Und die Unmöglichkeiten für diese jungen Menschen, ihnen zu widerstehen, wenn sie nicht größere Aufgaben und wirkliche Freunde hatten? Voraussetzung für seine Mitarbeit bei uns war es, daß er selbständig und wissenschaftlich denken lernte. Voraussetzung dafür, daß er sich vom ,, Leithammel" trennte, war es, daß er eine neue Gemeinschaft fand. Voraussetzung dafür, daß er diese neue Gemeinschaft, daß er die neuen Funk­tionen finden konnte, war der Verzicht auf die alten Möglichkeiten. Wo anfangen?

Ich habe mir mit Jürgen große Mühe gegeben, keinen Zeitaufwand gescheut, versucht, ihm menschlich, als Freund und Kamerad, etwas zu be­deuten. Die zwei Monate, die wir in Berlin zu­sammen waren, reichten zum ,, Brückenschlag" nicht aus.

Ein junger Offizier, ein schlanker ,, lieber Junge" mit klugen Augen, zarten, gefühlvollen Händen kam oft zu mir. Dieser junge Mann erklärte mir: ,, Die

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