lebnissen der letzten zehn Tage, und ringe darum, sie in Worte zu fassen. Aber manchmal ist die Sprache zu arm. So will ich, so gut es eben gehen will, Dir schildern, was mich und uns alle so aufgewühlt hat. Am 5. November kam ein Heiminsasse zu mir in meine allabendliche Sprechstunde und fragte mich, ob ich wüßte, daß nun auch in München eine Deportation geplant sei und vorbereitet werde. Ich entgegnete ihm wahrheitsgemäß, daß ich nichts davon wüßte, und fügte etwas ärgerlich, weil ich selbst sehr erschreckt war, hinzu, man sollte doch nicht überall Gespenster sehen, wir hätten schon genug zu tun, um mit den wirklichen Schwierigkeiten fertig zu werden. Ich bat ihn, sich zu beruhigen und vor allem dies schlimme Gerücht nicht weiter zu erzählen, was er versprach. Am nächsten Tage berichtete mir der Hauptlehrer, er sei von einem andern Insassen ängstlich gefragt worden, was an diesem Gerücht sei. Am 7. November wurden vom Büro der jüdischen Gemeinde telephonisch der Hauptlehrer, Heilbronner und ich zu einer Besprechung über Heimangelegenheiten für den Nachmittag des 8. Novembers in das Büro der jüdischen Gemeinde in die Lindwurmstraße bestellt. Abel sollte im Heim bleiben, schon wegen etwaiger Revisionen konnten wir es nicht alle zusammen verlassen.
Zu der Zusammenkunft waren alle Heimleiter oder -leiterinnen, die leitende Bezirksfürsorgerin und die beiden Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde erschienen. Direktor Stahl erklärte uns kurz und sehr ernst ich fühle noch jetzt mein tiefes Erschrecken, daß tatsächlich etwa tausend jüdische Menschen aus München Mitte kommender Woche deportiert werden sollten. Die endgültige Auswahl dieser Armen sei noch nicht getroffen worden. Die Gestapo habe verfügt, daß uns hier Versammelten dieser Beschluß mitgeteilt werden sollte, damit wir vorbereitet seien, doch wären wir verpflichtet, strengstes Schweigen über das zu bewahren, was wir hier gehört hätten, bis jedem von uns schriftlich die Namen derer bekannt gegeben würden, die
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