wie ich von Jugend auf in Gefängnissen und Zuchthäusern herumtreiben müssen? Mir hat das richtig Spaß gemacht, daß ich dich auch einmal hereinlegen konnte und daß du mit deiner ganzen Gelehrtheit auch einmal der Dumme warst." Das war tatsächlich nicht nur eine sarkastische Ausrede, denn Schwanebeck, der ständig um mich herumschnüffelte, wenn ich beim Essen war, schenkte mir einmal unaufgefordert ein Stück Margarine, als er wußte, daß ich nur trockenes Brot zu essen hatte. Manchmal gefiel er sich eben darin, selbst auch einmal den Gentleman zu spielen, und diese Art von Gleichstellung gefiel ihm, glaube ich, viel besser als all sein Schwindeln und Stehlen.

Die Menschen haben alle ihre besonderen Neigungen, und erst sie geben ihren Einfällen die Unberechenbarkeit, die zum Leben gehört. Der Mangel an Essen, Kleidung und Abwechs­lung ist nicht einmal das Schlimmste, was den Menschen passieren kann, denn solche Mängel lassen sich viel leichter ertragen, wenn die anderen das alles auch entbehren müssen. Aber wenn man Not leiden muß, während man sieht, daß die anderen alles im Überfluß haben, das erst gießt Öl ins Feuer.

Das gleiche gilt für das Verlangen, sich vor den anderen jedes hervorzutun. Der Neid und die Eitelkeit können gesellschaftliche System zu einem Zerrbild und einem offenen Skandal ausarten lassen. Kapital oder Kapitalisten gab es nirgendwo im Lager, und trotzdem herrschte keine Eintracht. Die Verschiedenheit der Menschen untereinander führt allein schon zu einer Verschiedenheit in den Möglichkeiten, das Leben zu gestalten. Gleiches Recht bei gleicher Begabung und gleicher Arbeit, das ist keineswegs ein Problem der ge­sellschaftlichen Struktur, sondern eine Sache der aufgeklärten und umsichtigen Führung. Manchmal ist es für den Mit­menschen viel besser, wenn er seinen Hang zum Wohlleben beherrscht, als wenn man ihm mehr gibt, als er bereits hat. Es klingt vielleicht altmodisch, pastoral oder zu skeptisch, aber unvoreingenommene Untersuchungen über die Natur des Menschen stellen immer wieder fest, daß der innerste Kern einer jeden Gesellschaftsordnung ein moralisches Problem ist.

Daß selbst die menschlichen Bedürfnisse ihrer Natur nach relativ sind, war vielleicht die erstaunlichste Entdeckung, die man im täglichen Lagerleben machen konnte.

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