IX
DIE SEELE BLEIBT SIEGER
Offiziell waren die Häftlinge also'keine Menschen. Ein komischer Zwischenfall gab mir eine ungewollte, aber treffende Illustration zu dieser Tatsache. Anfang Januar 1943 brauchte mein Freund Laurens, ein früherer Beamter des polnischen Generalkonsulats in Berlin , meine Unterstützung als Dol- metscher für die Holländer und Franzosen , von denen damals neue Gruppen ins Konzentrationslager kamen. Laurens hatte seine Kenntnis der slawischen Sprachen im Verein mit einem langjährigen geduldig ertragenen Aufenthalt im Lager dazu verholfen, zeitweilig zum„Kapo “ in der Politischen Ab- teilung befördert. zu werden.
In-diesen Tagen kam- auch Pastor Overmaat zusammen mit ein paar holländischen Kommunisten für kurze Zeit nach Neuengamme , bevor er in der schöneren Umgebung von Dachau eingesperrt wurde. Eines Nachmittags war Laurens verhindert, eine neue Gruppe von Gefangenen abzuholen, die verhört werden sollten, und ich; bekam Auftrag, die Leute ins SS -Lager zu führen. Nicht weniger, aus Vorsicht als aus Abneigung hatte ich es bisher immer nach Möglichkeit ver- mieden, mit diesen Leuten in Berührung zu'kommen, und deshalb war meine Erfahrung«in: den‘ vorgeschriebenen Umgangsformen auch nur ziemlich gering.
Ich marschierte mit meinem Gefolge auf das Tor des Lagers zu und meldete dem diensttuenden Wachtmeister unseren Abmarsch. Vorschriftsmäßig zeigte ich meine Lager- nummer vor’und brüllte in dem üblichen„deutschen“ Ton, so gut ich ihn fertigbrachte, durch das geschlossene Fenster der Wachtstube:„Nummer 5 919 mit 15 Mann zur Politischen Abteilung!“ Es war gerade so, als hätte ich dem Wachtmeister eine heruntergehauen. Fassungslos und wütend in einem machte er das Fenster auf und brüllte wie ein Hund, den man getreten hat:„Was? Was nimmst du mit?“
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