nur in der Tatsache, daß der eine. das Krankheitsbild von der Wandelbarkeit der menschlichen Moralbegriffe nur in seinen äußern Auswirkungen betrachtet, während der zweite es vom Standpunkt einer festen Wertgebung im Rahmen eines fest­stehenden Ordnungsprinzips für das ganze Universum aus untersucht..

Zwei Beispiele sollen die Verheerungen veranschaulichen, die der Hunger selbst in dem Gefühl natürlicher Sympathie für die Leidensgefährten anrichtet.

Unter den gefangenen Holländern befand sich auch ein Vater aus Rotterdam mit seinem Sohn. Einfache Leute, denen unter normalen Umständen niemand etwas schlechtes nach­sagen konnte. Sie gehörten wie alle Holländer zu den ,, Poli­ tischen und waren wahrscheinlich wie die meisten verdäch­tig, marxistisch gefärbten Anschauungen zu huldigen. Die Einmütigkeit ihrer Gesinnung war über jeden Verdacht er­haben, und am Anfang zeigten ihre wechselseitigen Beziehun­gen auch nicht eine Spur von Trübung. Der Sohn wurde krank und kam ins ,, Revier"; allmählich erholte er sich wieder und durfte bei verschiedenen kleinen Arbeiten im Innendienst mit­machen. Diese Tätigkeit bot ihm regelmäßig die Möglichkeit, gelegentlich eine Krume mehr von den vielen Resten zu er­wischen, die im Revier übrig blieben oder ,, organisiert" wur­den. Er ließ sich nichts abgehen, und seine körperliche Ver­fassung besserte sich sichtlich. Dann kam auch sein Vater in die Krankenstube. Völlig erschöpft und ausgehungert, am Rande des Grabes, wie allgemein angenommen wurde. Und er bat seinen Sohn um Brot. Dieser hätte es ihm ohne weiteres geben können, ohne selbst zu kurz zu kommen, aber er ver­weigerte die Hilfe, die seinem Vater wahrscheinlich das Leben gerettet hätte. Der Grund dafür war lediglich Gefräßigkeit, und Julien Lahaut , der mir die Sache erzählte, war zutiefst erschüttert über solch eine Abstumpfung des kindlichen Emp­findens. Jeder fand das Benehmen dieses entarteten Sohnes einfach schändlich, aber gleichzeitig verstand ihn jeder nur zu gut. ,, Alles verstehen heißt alles verzeihen!" Und der Vater selbst hat seinem Sohn später vergeben.

In Wittenberge verschwand dann und wann ein Häftling aus dem Lagerkommando. Auf dem gleichen Fabrikgelände arbeiteten kleinere Gruppen von ,, freiwilligen" Arbeitern aus den verschiedensten Ländern. Sie durften ihr Mittagessen in besonderen Baracken am Rande des Geländes einnehmen.

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