hat die letzten Tage auch sein vorgeschriebenes Quantum geliefert. Seinen Arbeitstag teilt er sich genau ein. Morgens löst er die Taue von den verteerten Tampen und schlägt sie am Tischbein faserig. In den Nachmittagsstunden reibt er sie an einem am Tisch befestigten Stahldorn auf und zupft sie mit den Fingern zu feinen, wollartigen Fasern, zu Werg. Ein Kilo ist ein großer Haufen.
Zwei Abende haben sie ihn in Ruhe gelassen. Schlaf findet er darum doch nicht, denn er befürchtet jeden Augenblick, bei jedem Schritt, bei jedem Lärm, sie könnten zu ihm kommen. Das rechte Bein ist immer noch nicht in Ordnung. Er muß es gekrümmt halten, sonst schmerzt es.. Die Geschwulst ist allerdings abgezogen. Er wagt nicht, sich zum Heildiener zu melden. Wenn der das Bein untersuchte, sähe er die Spuren der Mißhandlungen. Die Wachtmeister nähmen dann an, er habe sich nur gemeldet, damit bekannt werde, daß man ihn mißhandelte. Es ist Nachmittag. Koltwitz zupft Werg. Er freut sich über die Menge, die er bereits gezupft hat; heute ging es von der Hand. Zupfen ist gar nicht so übel; man hat eine Arbeit und kann doch dabei an alles mögliche denken. Vor ihm liegen die Teertampen, die er morgen verarbeiten muß.
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Die Schiffstaue erinnern ihn an die Tarragona ", mit der er vor zwei Jahren eine Mittelmeerreise gemacht hat. Wenn ihm damals einer prophezeit hätte, daß er zwei Jahre später in Zuchthauskleidern in einer Zelle Schiffstaue zu Werg zupfen werde, ohne etwas verbrochen zu haben, nur weil er Sozialdemokrat ist, den hätte er für hoffnungslos irrsinnig erklärt...
Koltwitz träumt von Orangenplantagen, Olivenhainen, Gebirgseinsamkeiten, weiten Ausblicken auf das Meer, und plötzlich rasselt der Schlüssel im Schloß der Zellentür. Er springt auf und
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