Miesicke läßt sich von einem jungen Burschen ein freies Bett zeigen. Er legt seinen Hut darauf. In einigen Betten schlafen be­reits Gefangene. Miesicke weist auf sie hin und fragt. Der Junge erzählt ihm, daß die miẞhandelt worden seien. Am liebsten hätte auch er sich hingelegt, aber Miesicke verschweigt aus Scham, daß sie ihn geschlagen haben. Eine Flut von Fragen muß er beant­worten. Aber er hat das Gefühl: auch hier glaubt man ihm seine Schuldlosigkeit nicht.

Dieser Abend auf der Sperlingshöh" wird Miesicke zum Erleb­nis. Es ist nicht nur sein erster Tag in einem Gefängnis, es ist auch der erste Tag, den er unter Kommunisten verbringt. Unter denen, die mit Miesicke angekommen sind, befinden sich zwei Mit­glieder einer Agitprop- Truppe. Nun sind von dieser Gruppe be­reits fünf Mitglieder in dem Saal. Und es dauert nicht lange, da werden die Schachspiele von den Tischen geräumt, die Karten eingesammelt, Bänke und Tische zusammengestellt, und die im­provisierte Agitprop- Truppe Rote Knastjungens" beginnt mit ihrem Spiel.

Für Miesicke ist dies alles unerhört. Er sieht sich die Insassen des Saales genauer an: es sind durchweg Arbeiter. Viele junge Leute darunter. Die meisten sind kümmerlich gekleidet, sie haben ge­stopfte Strickwesten an; ihre kragenlosen Hemden sind zerrissen; ihre Hosen eingelaufen und ausgefranst. Erwerbslose, denkt Miesicke. Zwei von den Gefangenen tragen bessere Kleidung. Miesicke bewundert den Zusammenhalt unter den Gefangenen, den kameradschaftlichen Ton ihrer Unterhaltungen, die un­anfechtbare Gelassenheit, mit der sie ihre Haft hinnehmen, ihr leidenschaftliches Interesse an politischen Diskussionen, ihre prä­zise und gewählte Ausdrucksweise.

Besonders aber staunt er über die fünf jungen Arbeiter, die an der Wand zwischen den beiden Saaltüren aus dem Gedächtnis

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