Die
Verne h m un g
Still und bescheiden fließt die Alster durch Wiesen und Wälder des hamburgischen Landgebiets, an Poppenbüttel , Fuhlsbüttel und Alsterdorf vorbei, um mit einem Male inmitten des Häusermeeres der Großstadt sich zu einem breiten, kilometerlangen See auszudehnen. Hinter dem Jungfernstieg jedoch schlängelt sie sich wieder, von Schleusen reguliert, klein und unauffällig, schmutzig und träge, quer durch das Geschäftsviertel der inneren Stadt. Hier bilden schmucklose Hinterfronten vielstöckiger moderner Handelshäuser, an deren schlickverschmutzten Fundamenten das tintenschwarze Wasser steht, die senkrechten Ufer des Alsterlaufs, von dem aus zahlreiche schmale Fleete die ganze Innenstadt durchziehen.
Kurz bevor die Alster in die Elbe mündet, fließt sie an zwei architektonisch grundverschiedenen hohen Granitbauten vorbei, und jäh ändert sich das Bild. Verschwunden sind hier die hohen, kalten, breiten Rückwände der Banken, Kauf- und Kontorhäuser. Kleine, schiefe, verfallene Speicher mit leeren, erloschenen Fenstern, verrosteten Kranen und Winden, verwitterten, spitzgiebeligen, schmutzigroten Ziegeldächern beugen sich zum dunklen Wasser. Sie stehen in langer Reihe, eins stützt das andere. Längst sind Hamburgs Kaufleute aus diesen Speicherlöchern in große, weite, helle Bauten übersiedelt. An den alten, baufälligen Handelshäusern aus Urgroßväterzeiten, notdürftig mit riesigen Strebebalken vor dem Einsturz bewahrt, fehlen oft metergroße Mauerstücke, die im Laufe der Jahrhunderte ins Wasser bröckelten, sind oft Fenster und Speichertüren herausgerissen, hängen
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