Nun, wenn es für uns Häftlinge auch nicht gerade eine angenehme Perspektive war, demnächst zum Teil in einem oder in mehreren Schaugläsern herumzuschwimmen oder uns die Haut abziehen und gerben zu lassen, wie es mehrfach geschah, so hatten wir doch die Gewißheit, daß wir- davon nichts mehr spüren würden.
Dann aber taucht Neumann auch plötzlich in der Notbaracke, die wir für die überaus zahlreichen Ruhrkranken hatten einrichten müssen, und in unserer Stationsbaracke auf. Die Pfleger haben anfangs den Eindruck, daß er nur ,, besuchsweise" kommt, aber dann zeigt er in immer steigendem Maße ein merkwürdig lebhaftes Interesse für einzelne Kranke. Am nächsten Tage schon beginnt er mit Untersuchungen und eigenen Behandlungen.
Und wenn er auch keinem Häftlingspfleger jemals sagt, was er injiziert und welche Medikamente er verabreicht, es besteht schon bald gar kein Zweifel mehr, daß er--- experimentiert.
Keiner der von ihm persönlich behandelten Häftlinge gesundet. Wohl zeigen sich hier und da mal Besserungen, aber nach der Verabfolgung neuer Medikamente tritt stets eine Verschlechterung ein, und kein einziger seiner ,, Patienten " kommt mit dem Leben davon. Die meisten der verstorbenen Häftlinge seziert er unmittelbar nach dem eingetretenen Exitus.
Wir hätten gerne gewußt, welche Medikamente Neumann verabfolgt, aber so sehr sich die Pfleger auch bemühen, in dieser Beziehung irgendetwas festzustellen, es ist nichts zu ermitteln. Er verabfolgt die Medikamente stets persönlich, die Ampullen mit Sektionsflüssigkeit sind immer neutral, die Pulver und Pillen, die er den Kranken in seiner Gegenwart zu schlucken befiehlt, sind ohne Ausnahme in neutralem Papier verpackt oder entnimmt er aus Schachteln ohne Aufschrift. Das Verpackungspapier steckt er stets wieder zu sich, die Injektionsspritze reinigt er selbst und legt sie immer sofort wieder in seinen Besteckkasten zurück, den er niemals unbeaufsichtigt läßt und immer mit sich nimmt. Dann geht er dazu über, einen kleinen Raum der Stationsbaracke für seine ,, Kranken" zu reservieren. Dort liegen jeweils 8 Häftlinge, an denen die sonderbarsten Behandlungen vollzogen werden. Wiederholt reibt er Flüssigkeiten und Pulver auf die gesunde Haut( Oberschenkel, Arm und Handrücken) ein, die darauf regelmäßig an den eingeriebenen Stellen und manchmal auch über den ganzen Körper erkrankt. In bestimmten Stadien schneidet er dann aus den erkrankten Hautstellen Partien heraus und geht mit den Präparaten in das physiologische Institut, wo ihn niemand beim Mikroskopieren usw. stören darf.
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