längst in Bewegung gesetzte Verhängnis nur noch seinen ununterbrochenen Lauf.
Wenige Tage schon nach dem Einmarsch in die Tschechei kommen die ersten Transporte jener Häftlinge, die in das Sonderlager gebracht werden. Das einzige, was wir über sie erfahren, ist, daß sie Juden sind, darunter die gesamten Insassen eines jüdischen Altersheims, hochbetagte Greise der älteste 93 Jahre und viele Waisenkinder im Alter
-
--
von 8 bis 14 Jahren. Das Lager ist in acht Wochen restlos liquidiert, bis auf einige Kinder, die wir kurz vor der letzten Tragödie noch in das allgemeine Lager überführen können.
Ich vermag es nicht zu beschreiben, was sich hier zutrug.
Jedenfalls war alles so grauenhaft und so entsetzlich, so kaleidoskopisch turbulent, daß man den einzelnen Menschen in diesem Lager nicht mehr sah.
Schätzungsweise wurden etwa 1200 bis 1400 Häftlinge in das Lager gepfercht. Ihre Verpflegung bestand, da sie nicht zur Arbeit herangezogen wurden, aus einem halben Liter dünner Wassersuppe und einer Schnitte Brot täglich. Zum augenblicklichen Hungertode zu viel, zum Leben viel zu wenig.
Das große Sterben begann schon auf dem Transport ins Lager und steigerte sich mit jedem Tag nach Zahl und Grauen. Ärztliche Betreuung fand nicht statt, Samariterdienste durften nicht geleistet werden, Medikamente, Verbandmaterial wurden nicht in das Lager gelassen. Keiner durfte das Lager verlassen, kein anderer Häftling das Lager betreten. Und was sich dort zutrug, das konnten wir zunächst nur ahnen, wenn wir sahen, welche Szenen sich zum Beispiel bei der ,, Essenausgabe" im Hof abspielten. Wie eine Meute hungriger, halb wahnsinniger Wölfe benahmen sich die Häftlinge, indes die Scharführer mit Hundepeitschen, Stöcken und Revolvern dazwischenfuhren.
Nach vier Wochen etwa betritt der Lagerarzt Dr. Ding zum ersten Male das Sonderlager, weil ihm ein Scharführer erzählt hatte, daß in letzter Zeit merkwürdig viele Häftlinge ohne erkennbare Todesursache starben. Der Scharführer nahm an, daß irgendeine Seuche im Lager grassierte, er kannte den Hungertod noch nicht.
Ich muß Ding begleiten.
Als ich das Lager betrete, sind bereits etwa 400 Häftlinge gestorben, trotzdem liegen die übrigen Häftlinge in den Zelten, die sie nur zum Essenholen und Austreten verlassen dürfen, noch buchstäblich übereinander. Die Lebenden bei den Sterbenden, die Gesunden bei den Todkranken, die Greise bei den Kindern, die Angstlichen bei den Fatalisten.
13 Poller, Buchenwald
193


