Es kam immer wieder vor, daß dem Lagerarzt die sogenannten„, politischen Akten" zur Verfügung gestellt wurden; das waren Akten, die man in der ,, Politischen Abteilung" über jeden einzelnen Häftling führte. Anfangs gaben die Scharführer die Akten nicht aus der Hand bzw. wurden sie unter gutem Verschluß gehalten. Die Regel war, daß die Akte von einem Scharführer aus der ,, Politischen Abteilung" gebracht oder geholt wurde, der Lagerarzt nahm Einsicht, und sofort wurde die Akte zurückgebracht.
Diese Handhabung war auf eine strenge Anordnung des Lagerkommandanten zurückzuführen, der aus nur zu begreiflichen Gründen ausdrücklich befohlen hatte, daß die politischen Akten grundsätzlich nicht aus der Politischen Abteilung, wo sie in Stahlschränken aufbewahrt wurden, entfernt werden durften. Einsicht in die Akten durften nur die Mitglieder der Politischen Abteilung, der Schutzhaftlagerführer und der Lagerarzt nehmen. Da es vorkommen konnte, daß Schutzhaftlagerführer und Lagerarzt die Akten in ihren Arbeitsräumen zur Hand haben mußten, war es gestattet, die Akten diesen unter ihrer Verantwortung, aber nur mit besonderer Genehmigung des Leiters der Politischen Abteilung auszuhändigen.
Es dauerte geraume Zeit, bis ich Gelegenheit hatte, einen Blick in eine politische Akte zu tun, und noch länger, bis ich einmal eine solche eingehend durchblättern konnte. Aber später habe ich dann solche Akten sogar unter„, eigenem Verschluß" gehabt. Bevor das geschah, hatte mich der Lagerarzt angewiesen, unter keinen Umständen von diesem ,, Vertrauen", das er mir schenkte, einem Dritten etwas zu sagen. Ich habe sehr wohl gewußt, was mir zustoßen würde, wenn die Lagerleitung von diesem ,, Vertrauen" erfahren würde, dennoch erschien mir die Sache nicht besonders gefährlich. Nur einmal war die Situation etwas brenzlich. Rödl kam ins Revier. Der Lagerarzt war nicht da. Nach meiner Meldung: ,, Häftlingsschreiber 996 bei der Aktenablage" und seinem stets gewohnten: ,, Weidermochen!" blieb Rödl im Zimmer. Ich fühlte, daß er mich fixierte und aufmerksam beobachtete, was ich arbeitete. Aber ich war schon zu ,, abgebrüht", um mich dadurch aus der Ruhe bringen zu lassen. ,, Isch dö Dokter nöt hier?" fragte mich Rödl. ,, Nein, Herr Obersturmbannführer. Herr Sturmführer( ein Pfleger hatte einmal 5 Stockhiebe zudiktiert bekommen, weil er Herr Doktor gesagt hatte!) hat mir gesagt, daß Herr Sturmführer heute erst im SS. - Revier zu tun habe, bevor Herr Sturmführer ins Lager käme." Nach einer Weile dann Rödl: ,, Göb mal dö Akten x x her!" Auweih! Das war der Name eines Häftlings, dessen politische Akte im Schreibtisch des Lager
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