Sommer nichts von dem, was in uns vorging. Nur die vertrautesten Häftlinge wechselten miteinander Blicke, die dem geschulten Eingeweih­ten sagten, was wir fühlten und wie bewegt wir innerlich waren. Nicht den Bruchteil einer Sekunde unterließen wir unsere zugewiesene Be­schäftigung, und langsam schläferte das luchsartige Forschen in den Augen des Schergen Sommer nach ,, Anzeichen" bei uns ein.

Dann kam der Lagerarzt Dr. Ding.

,, Warum haben Sie sich nicht krank gemeldet, Schneider?" sprach ihn Ding mit ruhigem, sachlichem, vorbildlich ärztlichem Tonfall an.

Paul Schneider wollte von der Bank aufstehen, auf die er sich hatte setzen dürfen, aber Ding sagte sofort:

,, Bleiben Sie sitzen."

Nun blickte Paul Schneider etwas hilflos zu Ding auf, offenbar über­rascht von der Art, wie er angesprochen wurde. Aber deutlich sah ich in seinen Augen, daß er dem Ton nicht traute. Er machte mit der rech­ten Hand eine Gebärde, als wüßte er nicht recht, was er antworten solle. Ding wiederholte noch einmal geradezu gütig- suggestiv: ,, Sie sind doch krank! Sie müssen sich doch melden, wenn Sie sich nicht wohl fühlen!"

Paul Schneider antwortete nichts. War denn dieser Dr. Ding nicht Lagerarzt im Konzentrationslager Buchenwald ? War er denn ein ah­nungsloser Engel aus einer anderen Welt? Sah er denn gar nicht, daß dieser Mensch hier ganz offensichtlich bis an den unmittelbaren Rand des Todes gefoltert worden war? Wir Häftlinge, die dabei waren, taten so, als wäre die Sache völlig belanglos für uns.

,, Kommen Sie mit", fuhr Ding dann fort ,,, ich werde Sie untersuchen." Paul Schneider erhob sich mühsam und wankte hinter Ding her in einen anderen Barackenraum, wo ihn Ding abfühlte und mit einem Stethoskop abhorchte.

Wird ihm Ding jetzt eine Spritze geben?-

Nein! Er tut es nicht!!

Er ordnet an: ,, Salbenverband um die Handgelenke. Traubenzucker. Herzstärkungsmittel. Vorsichtige Massage. Rotlicht für die blutunter­laufenen Partien auf Rücken, Gesäß und Oberschenkel."

Und er überläßt die Ausführung den Häftlingspflegern.

Was geht hier vor? Wende? Will man Paul Schneider jetzt anders behandeln? Menschenwürdig? So wie es das äußere und innere Gesetz gebietet?

Die Häftlingspfleger bemühen sich um Paul Schneider , aber sie kön­nen kein Wort mit ihm wechseln, das ihnen eine Erklärung, eine Beant­wortung unserer Fragen geben könnte, denn Sommer weicht auch jetzt

11 Poller, Buchenwald

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