kurze Ansprache zusammenzustottern. Wir Häftlinge haben davon nur selten etwas verstanden, denn Rödl war Bayer und knödelte ein furcht­bares, völlig zusammenhangloses Dialektdeutsch. Häufig genug wurden selbst die SS. - Unterführer, die unmittelbar bei ihm am Mikrophon stan­den, nicht schlau aus dem, was er sagen wollte. Nur das Ende dieser Ansprachen war uns stets klar, denn das letzte Wort, das Rödl dabei aussprach, war immer: ,, Arschvull."

Seine hohe Musikalität wollte Rödl durch zwei Einrichtungen be­weisen, die gleichzeitig dazu dienten, Besucher, vor denen das wahre Gesicht des Lagers verborgen bleiben mußte, zu täuschen. Das war zum ersten die Lagerkapelle, deren Hauptaufgabe es war, beim Ein- und Ausrücken der Häftlinge Märsche zu spielen, damit die endlos langen Kolonnen in gleichmäßigem Takt durchs Tor marschierten. Zum anderen bereitete es ihm offenbar ein großes Vergnügen, sich von den Zehn­tausenden ein Ständchen bringen zu lassen. Das Ständchenrepertoire be­stand aus zwei Liedern, dem ,, Schloß im Walde" und dem ,, Buchenwald­lied", die beide so häufig gesungen werden mußten, daß sie den Häft­lingen bald zum Halse heraushingen und man allgemein nur noch dar­über verwundert war, daß selbst ein Rödl diese Monotonie nicht satt bekam. Oft mußten die Häftlinge zehn- und fünfzehnmal ansetzen, ehe der Massengesang einigermaßen klappte. Da Rödl dabei immer wieder in Wut kam und irgendeine blödsinnige Massen- oder Einzelbestrafung durchführte, organisierten wir Häftlinge die Sache so, daß nur die in der Nähe stehenden Blocks mit doppelter Vehemenz singen mußten, indes die entfernteren Blocks, zu denen der Schall erst Sekunden später gelangte, einfach nur die Lippen bewegten. Trotzdem klang der Massen­chor immer noch wie ein wilder Orkan. Aber ich glaube, daß selbst die Einwohner, die viele Kilometer weit vom Lager entfernt unten in den Taldörfern wohnten und den Massenchor wie dumpfes Brausen täglich hören konnten, weder den Text des Liedes verstanden, noch eine Ahnung hatten von dem, was in diesem Lager vor sich ging. Wie hätte sich auch der Fremde eine annähernd richtige Vorstellung vom Lager zum Beispiel aus dem Buchenwaldlied machen können, dessen erste Strophe lautete:

Wenn der Tag erwacht,

eh die Sonne lacht,

die Kolonnen ziehn

zu des Tages Mühn

hinein in den grauenden Morgen.

Und der Wald ist schwarz

9 Poller, Buchenwald

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